Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
die eine Rückkehr zu »normalen Verhältnissen« voraussahen, in denen Geld und gute Beziehungen wieder an oberster Stelle rangieren würden.
Eichmann hat sich diesem »gemäßigten Flügel« nie angeschlossen, und es ist auch fraglich, ob er zugelassen worden wäre, wenn er es versucht hätte. Nicht allein war er viel zu kompromittiert und außerdem wegen seines ständigen Kontakts mit jüdischen Funktionären viel zu bekannt, er war auch zu primitiv für diese wohlerzogenen »Herren« aus gutbürgerlichen Kreisen, gegen die er bis zum Schluß das heftigste Ressentiment nährte. Durchaus imstande, Millionen von Menschen in den Tod zu schicken, war er unfähig, in dem angebrachten Stil darüber zu reden, wenn er sich nicht an eine »Sprachregelung« halten konnte. In Jerusalem, wo es keine solchen Regeln gab, sprach er frei weg vom »Töten« und vom »Mord«, er sprach von »durch den Staat legalisierten Verbrechen«; er nahm kein Blatt vor den Mund, im Gegensatz zu seinen Verteidigern, deren gesellschaftliches Überlegenheitsgefühl gegenüber Eichmann mehr als einmal offenkundig wurde. (Der Assistent von Dr. Servatius, Dr. Dieter Wechtenbruch – ein Schüler von Carl Schmitt, der während der ersten Prozeßwochen in Jerusalem war, dann nach Deutschland geschickt wurde, um Entlastungszeugen zu vernehmen, und schließlich im August für die letzte Prozeßwoche zurückkehrte –, stand außerhalb des Gerichtssaals Reportern leicht zur Verfügung; Eichmanns Verbrechen schienen ihn weniger zu schockieren als sein Mangel an Geschmack und Bildung: »Wir müssen sehen, wie wir das Würstchen über die Runden bringen.« Servatius selbst hatte bereits vor dem Prozeß die Persönlichkeit seines Klienten mit der eines gewöhnlichen Briefträgers verglichen.)
Als Himmler »gemäßigt« wurde, sabotierte Eichmann seine Befehle, soweit er es wagen konnte, jedenfalls in dem Maße, in dem er sich von seinen unmittelbaren Vorgesetzten noch »gedeckt« fühlte. »Wieso wagt es Eichmann, Himmlers Befehle zu sabotieren?« – es handelte sich um die Anordnung, die Fußmärsche vom Herbst 1944 abzubrechen – hat Kastner Wisliceny einmal gefragt. Und die Antwort hieß: »Er wird schon irgendein Telegramm aufweisen. Müller und Kaltenbrunner werden ihn dabei decken.« Es ist sehr wohl möglich, daß Eichmann irgendeinen konfusen Plan für die Liquidierung von Theresienstadt vor dem Einrücken der Roten Armee hatte, obgleich wir dies nur durch die zweifelhafte Aussage von Wisliceny wissen (der bereits Monate, wenn nicht Jahre vor dem Ende damit begonnen hatte, sich auf Kosten Eichmanns sorgfältig ein Alibi aufzubauen, das er dann dem Nürnberger Gericht auftischte, wo er als Belastungszeuge vernommen wurde; es half ihm nichts, denn er wurde an die Tschechoslowakei ausgeliefert, dort angeklagt und verurteilt und in Prag, wo er keine Beziehungen hatte und wo Geld ihm nichts nützte, hingerichtet). Andere Zeugen behaupteten, daß Rolf Günther, einer von Eichmanns Leuten, Urheber dieses Plans gewesen sei und daß ganz im Gegenteil ein schriftlicher Befehl von Eichmann existierte, das Getto intakt zu lassen. Auf jeden Fall steht aber fest, daß Eichmann noch im April 1945, als praktisch jedermann ziemlich »gemäßigt« geworden war, einen Besuch von M. Paul Dunand vom Schweizerischen Roten Kreuz zum Anlaß nahm, kundzutun, er selbst billige Himmlers neue Richtlinien in bezug auf die Juden nicht.
Daß Eichmann jederzeit sein Äußerstes getan hatte, die »Endlösung« endgültig zu machen, war also nicht strittig. Es fragte sich nur noch, ob damit wirklich der Beweis für seinen Fanatismus, seinen grenzenlosen Haß gegen die Juden erbracht war, und ob er mit seiner Versicherung, immer nur Befehle befolgt zu haben, die Polizei belogen und vor Gericht einen Meineid geschworen hatte. Auf eine andere Erklärung sind die Richter offenbar nie gekommen, die sich so darum bemühten, den Angeklagten zu verstehen, und ihn mit so viel Rücksicht und mit einer so echten, reinen Menschlichkeit behandelten, wie sie ihm vermutlich nie zuvor in seinem Leben begegnet war. (Dr. Wechtenbruch erzählte vor Reportern, daß Eichmann »großes Vertrauen zu Richter Landau« habe, als wäre Landau imstande, seine moralische Weltordnung wiederherzustellen, und er schrieb dieses Vertrauen dem Bedürfnis Eichmanns nach Autorität zu. Was auch die Basis dieses Vertrauens sein mochte, es blieb den ganzen Prozeß hindurch offenkundig; und es mag der Grund dafür
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