Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
hat, um die jüdische Frage zu klären«, und hatte Horthy vorgeworfen, »die Liquidation der Juden nicht zugelassen« zu haben (Nilberg).
Eichmanns Auftrag war klar. Sein ganzes Büro wurde nach Budapest verlegt – »An sich ein Herabgleiten wieder, denn von einem Referenten in einer Zentralinstanz wurde ich jetzt Referent in einer mittleren Instanz. Aber gehaltsmäßig hat sich das nicht ausgewirkt«, wie Eichmann, immer karrierebewußt, zu erläutern nicht verfehlte –, »damit die Sache eben in Ordnung geht«. Eine Vorahnung von dem, was sich nun ereignen sollte, hatte er nicht; gewisse Befürchtungen betrafen einen eventuellen Widerstand von seiten der Ungarn, mit dem er wegen Mangel an Mannschaften und da er mit den ungarischen Verhältnissen nicht vertraut war, nicht hätte fertigwerden können. Diese Befürchtungen erwiesen sich als gänzlich unbegründet. Die ungarische Gendarmerie war mehr als beflissen, alles Notwendige zu tun, und der neue ungarische Staatssekretär für Politische (Jüdische) Angelegenheiten im ungarischen Innenministerium, László Endre, war »mit dem Judenproblem wohlvertraut« und wurde ein intimer Freund, mit dem Eichmann einen großen Teil seiner freien Zeit verbrachte. Alles ging glatt, »reibungslos«, »wie von selbst« – »ich sagte ja schon, ich hätte mir’s ja nie träumen lassen«, denn auf der Fahrt nach Ungarn, da habe er »nichts als Sorgen im Kopf gehabt«, aber es gab nicht die geringsten Schwierigkeiten. Es sei denn, man wolle einige geringfügige Diskrepanzen zwischen seinen Befehlen und den Wünschen seiner neuen Freunde als Schwierigkeiten bezeichnen; z. B. sahen seine Befehle, wohl wegen des Herannahens der Roten Armee von Osten her, vor, das Land »von Osten nach Westen durchzukämmen«, und das bedeutete, daß die Budapester Juden nicht gleich in den ersten Wochen und Monaten evakuiert werden würden – Grund genug für großen Kummer bei den Ungarn, die natürlich als erstes ihre Hauptstadt »judenrein« sehen wollten. (Das »reibungslose« Funktionieren und die »Schlagkräftigkeit« der ungarischen Gendarmerie ist Tatsache; sie hatte eine selbst für jene Zeiten unvergleichlich furchtbare Katastrophe zur Folge: nirgendwo sonst wurden so viele Menschen in einer so kurzen Zeitspanne deportiert und umgebracht. In weniger als zwei Monaten verließen 147 Züge mit insgesamt 434 351 Menschen Ungarn in versiegelten Güterwagen, hundert Personen pro Waggon, und die Gaskammern von Auschwitz konnten diese Menge kaum bewältigen.)
Schwierigkeiten erhoben sich an einer ganz anderen Stelle. Nicht ein Mann, sondern drei waren mit Befehlen ausgestattet, denen zufolge sie bei der »Lösung des Judenproblems« helfen sollten; jeder von ihnen gehörte zu einer anderen Einheit und zu einem anderen »Befehlsweg«. Rein technisch gesehen, wäre Winkelmann Eichmanns Vorgesetzter gewesen, doch die Höheren SS- und Polizeiführer unterstanden nicht dem Kommando des RSHA, zu dem Eichmann gehörte. Und Veesenmayer vom Auswärtigen Amt war unabhängig von beiden. Jedenfalls weigerte sich Eichmann, von einem der beiden anderen Befehle entgegenzunehmen, und nahm ihre Anwesenheit sehr übel. Den schlimmsten Ärger hatte er aber mit einem vierten Mann, den Himmler mit einer »Sondermission« in das einzige europäische Land geschickt hatte, das immer noch eine ansehnliche Zahl von Juden beherbergte, und zwar Juden, die noch eine bedeutende wirtschaftliche Position einnahmen. (Von insgesamt 110 000 Geschäften und Industriebetrieben waren dem Vernehmen nach 40 000 in jüdischen Händen.) Dieser vierte Mann war der Obersturmbannführer und spätere Standartenführer Kurt Becher.
Becher, ein alter Feind Eichmanns, der heute als wohlhabender Kaufmann in Bremen lebt, wurde merkwürdigerweise als Entlastungszeuge hinzugezogen. Er konnte aus auf der Hand liegenden Gründen nicht nach Jerusalem kommen und wurde in seiner deutschen Heimatstadt verhört. Seine Aussage wurde von dem Gericht nicht akzeptiert, da ihm lange vor seiner Vernehmung die Fragen vorgelegt worden waren, die er später unter Eid beantworten sollte. Es war sehr schade, daß Eichmann und Becher nicht miteinander konfrontiert werden konnten, und das nicht nur aus juristischen Gründen. So eine Gegenüberstellung hätte das »Gesamtbild« in einer Weise ergänzt, die auch juristisch keineswegs irrelevant war. Nach seiner eigenen Aussage war Becher in die SS deshalb eingetreten, weil er sich »seit 1932 bis auf den heutigen
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