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Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Titel: Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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Schwerenöter, gab
es außer Lea keine andere Frau, die es wert war, dass man sich näher mit ihr beschäftigte.
Trotzdem war da etwas, das seine Neugierde hervorrief, weshalb, war ihm ein Rätsel.
    Ein Rätsel
der besonderen Art stellte jedoch auch seine Frau Lea dar. Sie, der sonst nichts
entging, tat einfach so, als bemerke sie Sydows Unsicherheit und die daraus resultierende
Zerstreutheit nicht, hakte sich bei ihm unter und nahm den Platz an der Spitze der
Trauergemeinde ein. Sydow ließ es geschehen, in Gedanken immer noch bei der Unbekannten
anstatt bei seiner Tante, die in Kürze zur letzten Ruhe gebettet werden würde.
     
    *
     
    Was folgte, war eine Sache von wenigen
Minuten und kaum dazu geeignet, Sydows Gemüt aufzuheitern. Um nicht in Trübsal zu
verfallen, beobachtete er die Trauergäste und mokierte sich insgeheim über den Nieselregen,
der genau dann einsetzte, als sich der Sarg in die Erde senkte. Der Pfarrer, wahrlich
kein Redner vor dem Herrn, schien dies als Wink des Himmels zu nehmen, verschärfte
das Tempo erneut und entließ die Anwesenden mit den Worten, sie mögen in Frieden
von dannen ziehen.
    Gerührt
von so viel Anteilnahme, verharrte Sydow noch eine Weile am Grab. Das hatte Tante
Lu nicht verdient, das hatte niemand verdient, der ein Leben wie sie hinter sich
hatte. Der Regen wurde stärker, und wie er so dastand, umgeben von Birken, Buchen,
Eiben und Holunder, kam sich Sydow wie der Hauptprotagonist in einer drittklassigen
Kinoschnulze vor. »Und was machen wir mit der Flagge, Herr von …?«
    »Sydow,
ganz einfach Sydow. Geben Sie her.« Sydow kramte sein Portemonnaie hervor, drückte
dem Totengräber einen Zehnmarkschein in die Hand und wusste nicht, wohin mit seinem
Hut, den er nach kurzem Zögern aufsetzte. Dann nahm er die zusammengefaltete Fahne
entgegen und beschloss, sie mit nach Hause zu nehmen. Preußen, in dem seine Tante
groß geworden war, war Teil seiner Familiengeschichte. Daran führte kein Weg vorbei,
mochte man nun Nostalgiker wie Tante Lu oder Brandt [28] -Anhänger wie ihr aus der Art geschlagener Neffe sein.
Jahrhundertelang hatten die Sydows dem Staat gedient, als Offiziere, Richter oder,
wie sein Vater, als Diplomat. Oder, wie der Letzte des Hauses, als Polizeibeamter.
Das durfte man über all dem Neuen, was die Nachkriegszeit Deutschland bescherte,
nicht vergessen. Man musste wissen, woher man kam, sonst wusste man nicht, wohin
man gehen sollte.
    Allein auf
weiter Flur, konnte sich Sydow von dem Grab, dessen Kopfende ein schmuckloses Holzkreuz
zierte, immer noch nicht losreißen. Ob er wollte oder nicht, begannen die Gedanken
um seine Jugend und um das Herrenhaus am Ruppiner See zu kreisen. Mehr als alles
andere hatte sich ein Ereignis in sein Gedächtnis eingegraben, an das er hier, auf
dem menschenverlassenen Kirchhof, erinnert wurde. Es war die Szene, in der seine
Mutter die Koffer gepackt und ihre Familie Hals über Kopf verlassen hatte. Ein Tag
wie heute, wolkenverhangen, grau und entschieden zu kühl. Sydow wischte sich die
Regentropfen von der Stirn. An den Grund für das Zerwürfnis zwischen seinen Eltern
konnte er sich zwar nicht mehr erinnern. Eines aber war ihm bis zum heutigen Tag
im Gedächtnis geblieben. Nämlich die Geräusche, welche Mutters Schritte auf dem
Kiesweg vor dem Haus verursacht hatten.
    Er würde
sie sein Lebtag nicht vergessen.
    Geräusche,
so schien es, welche mit denen zu seiner Rechten identisch waren.
    »Patriot
ohne Wenn und Aber. Und seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.«
    »Tatsächlich?«
Sydow konnte es partout nicht ausstehen, wenn man ihn mit seinem Vater verglich.
Nun gut, rein äußerlich betrachtet mochte dies vielleicht der Fall sein. Er war
über 1,90 Meter groß, hatte eine scharf geschnittene Nase, spröde und zumeist rissige
Lippen und weit auseinanderliegende blaue Augen, die von spärlichen Brauen überwölbt
wurden. Und darüber hinaus, quasi als Familienerbstück, ein Paar hohe Wangenknochen
nebst einem markanten Kinn. So viel zum Thema Ähnlichkeit. Das immer noch volle
und ungebärdige Haar war dagegen ein Erbstück seiner Mutter und ein Teil seiner
Physiognomie, auf den man in seinem Alter stolz sein konnte. Nicht ganz so stolz
war er dagegen auf seinen Bauchansatz, den er nach Kräften zu kaschieren versuchte
und den Kochkünsten seiner Frau zu verdanken hatte. Tja, der Geist war eben willig,
das Fleisch dagegen so schwach, dass Vorsicht – und so wenig Schreibtischarbeit
wie möglich – das Gebot

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