Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
– wenn das normal ist, weiß ich auch nicht mehr.«
»Sonst noch
was?«
Michalke
lachte verächtlich auf. »Wollen Sie das wirklich wissen, Herr Kommissar?«
»Ich kann’s
kaum erwarten.«
»Er ist
andersrum.«
Krokowski
fehlten die Worte.
»Jede Wette!«,
versetzte Michalke, verschränkte die Arme und schnitt eine Grimasse, die Unklarheiten
bezüglich seiner Meinung erst gar nicht aufkommen ließ. »So einen erkenne ich auf
100 Meter.«
»Sie sind
wirklich zu beneiden, Herr Michalke«, flüchtete sich Krokowski in Ironie. »Um Ihre
Menschenkenntnis, meine ich.«
Die Bemerkung
verhallte ungehört. »Wenn das keine Tunte war, will ich Charlie Chaplin …«
»Wenn du
dich da mal nicht irrst, Egon.«
Krokowski
stutzte und gesellte sich zu der Kassiererin, die ihren Platz unter dem Vordach
aufgegeben und sich ihm bis auf wenige Meter genähert hatte. »Wie darf ich das verstehen,
gnädige Frau?«
Die Kassiererin
senkte den Kopf und schwieg.
»Soll das
heißen, dass Sie den Tatzeugen kennen?«
»Kennen
ist vielleicht das falsche Wort, Herr Kommissar.«
»Augenblick,
gnädige Frau. Ich bin sofort bei Ihnen.« Froh, ihn loszuwerden, wandte sich Krokowski
an den Gnom und verkündete, er habe keine weiteren Fragen mehr. Danach wandte er
sich aufs Neue der Kassiererin zu. »Tut mir leid, wenn ich Sie von der Arbeit abhalte,
Frau …«
»Krüger.
Heidemarie Krüger.«
»Gestatten
– Krokowski, Kripo Berlin.« Der Kriminalkommissar räusperte sich. »Wie gesagt: Tut
mir leid, Ihnen Unannehmlichkeiten zu bereiten, Frau Krüger. Aber ich muss Ihnen
ein paar Fragen stellen.«
»Meinetwegen.«
»Ich habe
Sie herbitten lassen, um mich nach verdächtigen Besuchern zu erkundigen.« Krokowski
trat von einem Bein aufs andere, setzte die Brille ab und rieb sie am Ärmel seines
Jacketts. »Frau Krüger: Ist Ihnen irgendetwas Verdächtiges aufgefallen, vor allem,
was die Zeit zwischen neun und zwölf Uhr betrifft? Apropos – wie viele Eintrittskarten
haben Sie denn verkauft?«
»Wenn’s
hoch kommt, ein paar Dutzend.« Die Schlossbedienstete begann zu frieren, und das
trotz des selbst gestrickten Pullis, den sie unter ihrer Wolljacke trug. Und klagte:
»Liegt wahrscheinlich am Wetter.«
Krokowski
schien die Bemerkung überhört zu haben. »Darf man fragen, woher Sie den Tatzeugen
kennen?«
»Was heißt
hier ›kennen‹, Herr Kommissar«, druckste die Kassiererin herum, zuckte die Achseln
und wusste vor lauter Verlegenheit nicht, wo sie hinschauen sollte. »Wir sind ein
paar Mal ausgegangen, sonst lief da nicht viel.«
Als Junggeselle
mit einem überschaubaren Kontingent an amourösen Erfahrungen hätte Krokowski liebend
gern erfahren, was unter ›lief da nicht viel‹ zu verstehen war. Wie nicht anders
zu erwarten, behielt seine gute Kinderstube die Oberhand und er wandte sich wieder
dem Gesprächsthema zu. »Das heißt, Sie können bezeugen, dass sich Ihr Bekannter
zum fraglichen Zeitpunkt im Schlossbereich aufgehalten beziehungsweise eine Eintrittskarte
gelöst hat.«
»Nicht nötig.«
»Wie meinen?«
»Er ist
Reporter. Freier Eintritt für die Presse, Anweisung von j.w.o. [30] «
»Auch in
der Freizeit?«
»Er war
nicht zum Vergnügen hier«, betonte Heidemarie Krüger, ein wehmütiges Lächeln im
Gesicht, aus dem die mit reichlich Rouge bedachten Wangen besonders hervorstachen.
»Leider.«
»Sondern?«
»Das wollte
er mir nicht sagen. Auf einmal hatte er es dann furchtbar eilig. Ein Lächeln, und
weg war er!«
»Wann genau
war das?«
»Um halb
zwölf.«
»Hat er
erwähnt, mit wem er sich treffen wollte?«
»Wo denken
Sie hin, Herr Kommissar! Theo ist ein diskreter Mensch. Und überaus zuvorkommend.«
Heidemarie Krüger geriet ins Schwärmen. »Jemanden wie ihn trifft man nicht alle
Tage.«
Krokowski
tat so, als sei er auf das Polieren seiner Brillengläser fixiert. Dann aber, auf
ein Aufseufzen der Kassiererin hin, blickte er wieder auf und sagte: »Ihre Reminiszenzen
in Ehren, Frau Krüger – aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir seinen Namen nennen
könnten.«
»Ich kann
es einfach nicht glauben, Herr Kommissar. Theo ist doch so ein herzensguter …«
»Theo wie?«
»… Mensch.
Für ihn würde ich die Hände ins Feuer legen.« Schier untröstlich, zerrte die Kassiererin
ein Tempotaschentuch hervor und betupfte die rot geweinten Augen. Von der Tatsache,
dass Krokowskis Mitgefühl sich in Grenzen hielt, nahm sie dabei ebenso wenig Notiz
wie von den Spuren, die ihr verlaufender
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