Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
Spree eröffnete. An einem Tag wie heute,
wo man besser daran tat, zu Hause zu bleiben, war dieser zwar nicht viel wert. Dennoch
fiel auf, dass er es hier nicht mit einem jener Hinterhofadvokaten zu tun hatte,
mit denen er jahrzehntelang aneinandergeraten war. Das Büro, in dem Malinowski residierte,
war geräumig, picobello aufgeräumt und verriet ein Faible des Besitzers für antikes
Mobiliar, Perserteppiche und gediegene Behaglichkeit. Allein schon der Schreibsekretär,
vom Eingang aus gesehen rechts postiert, musste ein Vermögen gekostet haben, und
das Gleiche traf Sydows Schätzung zufolge auf eine Sitzgruppe im klassizistischen
Stil und die dazu passende Vitrine mit Folianten und Vasen aus Meißener Porzellan
zu. Das absolute Prunkstück des Büros, in dem man das Gefühl bekam, ein Auktionshaus
zu betreten, war jedoch der Schreibtisch, der, wie Malinowski nicht ohne Stolz erklärte,
dereinst zum Mobiliar des Kronprinzen gehört hatte. Die Wände, selbstredend mit
Stuck versehen, und der an der Fensterfront entlanglaufende Balkon mit Aussicht
auf die Spree vervollständigten den Eindruck, dass hier, in einem der wenigen unzerstörten
Häuser aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, kein verkrachter Doktor der Jurisprudenz
logierte.
»Bitte,
nehmen Sie doch Platz, gnädige Frau.« Vielleicht war es die Art, wie Malinowski
Lea umgarnte, die sein Unbehagen noch steigerte. Nichts gegen Höflichkeit, aber
was sich der grauhaarige, gut gekleidete und offenbar auch gut situierte Experte
für Erbschaftsangelegenheiten hier leistete, ging zu weit. Nicht genug, dass er
ihr einen Stuhl unterschob, machte er auch noch eine Verbeugung, wartete, bis Lea
es sich bequem gemacht hatte, und hing hinfort an ihren Lippen. Lea ertrug es mit
Fassung, wartete ebenfalls ab, bis Malinowski hinter seinem Schreibtisch saß, und
blickte Sydow auffordernd an.
Jedoch war
nicht er es, der das Wort ergriff, sondern der distinguierte Herr im Tennispullover,
welcher zu allem Überfluss auch noch eine Brillenkette trug. »Wie fühlen Sie sich?«
»Den Umständen
entsprechend«, kam Sydow einer Antwort seiner Frau zuvor und handelte sich einen
missbilligenden Seitenblick ein. Bei so etwas verstand Lea keinen Spaß, was Malinowski,
dem ihr Unmut nicht entging, mit einem hintergründigen Lächeln quittierte. »Nicht
weiter verwunderlich, oder?«
»Nein, keineswegs.«
Der Wink mit dem Zaunpfahl zeigte Wirkung, und da der Tonfall die Musik machte,
verkniff sich der Anwalt weitere Floskeln und nahm den versiegelten Umschlag zur
Hand, der neben ihm auf dem blank polierten Schreibtisch lag. »Na, dann wollen wir
mal!«, rief er aus, wie selbstverständlich den Blick auf Lea und erst dann auf Sydow
gelenkt. »Zuvor muss ich Sie jedoch fragen, ob Sie, Herr Kriminalkommissar, das
Erbe überhaupt anzunehmen gedenken.«
»Kriminalhauptkommissar.«
»Verzeihen
Sie, Herr von Sydow, ich vergaß.«
»Sydow,
ganz einfach Sydow.«
»Aber, aber,
Herr Hauptkommissar!«, parierte Malinowski im Stil eines Oberlehrers, der einem
ungebärdigen Zögling Manieren beibringt. »Wenn das Ihre Tante wüsste.«
»Finden
Sie nicht, Herr Anwalt, wir sollten allmählich zur Sache kommen?«, antwortete Lea,
deren Hand Sydow plötzlich auf seinem Knie spürte. »Meinem Mann ist derzeit nicht
nach Scherzen zumute, wissen Sie.«
»Natürlich,
gnädige Frau!«, entgegnete Malinowski verschreckt, erbrach das Siegel, mit welchem
der Umschlag versehen war, und ging daran, die darin verwahrten Schriftstücke hervorzuholen.
»Deshalb sind wir ja hier.«
»Sie sagen
es.« Wie recht Lea doch hatte. Alles andere als entspannt, vertrieb sich Sydow die
Zeit, indem er einen Blick aus dem Fenster warf. Das Wetter zeigte sich nicht von
seiner besten Seite, und der Regenschleier, der über der Spree niederging, war nicht
geeignet, seine Laune zu heben. An einem Tag wie heute, der eher an den April als
an den bevorstehenden Sommer erinnerte, blieb man besser zu Hause, oder, falls die
Umstände es erforderten, im Präsidium. Bestimmt gab es dort eine Menge zu tun, und
obwohl Sydow sich dafür schämte, hätte er es vorgezogen, im Anschluss an Tante Lus
Beerdigung wieder an die Arbeit zu gehen. Das Auftauchen seiner Mutter und die Testamentseröffnung
hatten ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht, was bedeutete, dass er
die Angelegenheit möglichst rasch hinter sich bringen musste.
Wer weiß,
vielleicht tat er gut daran, hinterher noch kurz im Präsidium vorbeizuschauen.
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