Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
Trost in
dem Gedanken, dass die Furcht, er werde auf den Chefsessel gehievt, völlig unbegründet
und Wagenbach der Kandidat Nummer eins dafür war. Allein schon das Wohlgefallen,
mit dem Onkel Kurt ihn betrachtete, war Beweis genug, ein Grund mehr, keinen Gedanken
mehr darauf zu verschwenden und sich möglichst rasch an die Arbeit zu machen. Die
Frage, was Morell mit dem Mord zu tun hatte, rangierte an erster Stelle, weit vor
der Frage, ob er sich ab morgen mit einem Vorgesetzten namens Wagenbach herumschlagen
musste.
»Sie müssen
entschuldigen, Herr Kriminalrat – die Arbeit ruft.« Ohne seinen Erzfeind eines Blickes
zu würdigen, nickte Sydow Kurt Augustin zu und machte sich auf den Weg, in Gedanken
längst bei einem Fall, der, so hoffte er, ihn nicht über Gebühr in Anspruch nehmen
würde.
Er hoffte
vergebens.
12
Berlin-Schöneberg, Polizeipräsidium │ 16:25 h
»Sag mal, wie siehst du denn aus?«,
amüsierte sich Krokowski, als Sydow zur Tür hereinplatzte und nichts Eiligeres zu
tun hatte als sein Jackett auszuziehen. »Mein Vorgesetzter mit Anzug – es geschehen
noch Zeichen und Wunder.«
»Das sagt
der Richtige!«, konterte Sydow, lockerte seine Krawatte und warf einen beiläufigen
Blick in den Spiegel. »Muss ja nicht jeder so rumlaufen wie du.«
»Jedem das
Seine, Herr Kollege.«
»Du sagst
es, Kroko.« Das hatte er nun davon. Lea zuliebe hatte er sein Hochzeitsjackett überhaupt
angezogen und dabei festgestellt, dass es um einiges zu eng geworden war. Und jetzt
machte sich Kroko auch noch lustig über ihn. Sydow knirschte vor Wut. Er hasste
Anzüge wie die Pest, hasste Manschettenknöpfe und Krawatten, verabscheute vor allem
diese Hose, die sich anfühlte, als ob sie voller Flöhe steckte. Da traf es sich
recht gut, dass er noch Jeans und ein Freizeithemd im Spind hängen hatte. Sonst
wäre er die glatte Wand hochgegangen. »Kannst von Glück sagen, dass du wegen deiner
Montur noch nicht verhaftet worden bist.«
»Ich fürchte,
das Frotzeln wird uns noch vergehen.« Ein Foto im Auge, das Naujocks vor ein paar
Minuten vorbeigebracht hatte, stand Sydows Assistent vor seinem Schreibtisch, auf
dem mindestens ein Dutzend weitere Schwarz-Weiß-Aufnahmen verteilt waren. Darunter
auch eine des Mordopfers, die er bei Sydows Auftauchen in der Ablage versteckt hatte.
Mit Leichen hatte der nämlich so seine Schwierigkeiten und mied ihren Anblick, wo
es nur ging. »Hier – das musst du dir ansehen.«
»Mannomann!«,
murmelte Sydow, lockerte den Hemdkragen und betrachtete das Bild, auf dem die mit
Kreide gekennzeichnete Position der Toten sowie eine riesige Blutlache und Relikte
ihres Gehirns zu erkennen waren. »Der wollte es aber genau wissen.«
»Der oder
die.«
»Das heißt,
du nimmst an, dass es kein Einzeltäter war.«
Krokowskis
Antwort ließ nicht lange auf sich warten. »Gersdorf hat ein Sprechfunkgerät gefunden.
Da waren Profis am Werk, jede Wette.«
»Ein Berufskiller,
der seine Utensilien verliert?« Sydow legte das Foto auf den Schreibtisch, entfernte
seine Manschettenknöpfe und verstaute sie in der Hosentasche. »Dann ist es aber
nicht weit her mit ihm.«
Krokowski
wog bedächtig das Haupt. »Ich fürchte, da muss ich dir widersprechen, Tom«, entgegnete
er in der für ihn typischen Art, die darauf abzielte, die Pointe möglichst lange
hinauszuzögern. »Auf die Gefahr, mich zu wiederholen: Wer immer die Frau auf dem
Gewissen hat, beherrscht sein Handwerk aus dem Effeff.«
»Wenn dem
so wäre, hätte er sich nicht so dumm angestellt.«
»Auch ein
Profi – sogar ein Halbgott wie du – macht bekanntlich mal Fehler. Im Ernst: Morell
hatte Glück. Wäre der Gärtner nicht aufgetaucht, hätte er nicht mehr lange zu leben
gehabt.«
»Tja, du
kannst dir noch so viel Mühe geben, den perfekten Plan auszuhecken – meistens kommt
etwas dazwischen.«
»Du sagst
es. Er hätte alle Zeit der Welt gehabt, deinen Freund ins Jenseits zu befördern.
So aber blieb ihm nichts anderes übrig, als sich die Knarre unter den Arm zu klemmen
und die Kurve zu kratzen.«
»Hört, hört,
Krokowski redet wie ein normaler Mensch. Ich muss sagen, es geschehen noch Zeichen
und Wunder!«
»Soll ich
weitermachen oder nicht?«
»Selbstverständlich,
Herr Kollege«, flötete Sydow und genoss seinen Seitenhieb in vollen Zügen. »Fahren
Sie fort, Inspektor Yates. Oder sollte ich besser ›Herr Drache‹ sagen?« [43]
»Das können
Sie halten, wie Sie wollen, Mr. Holmes.« Krokowski atmete tief durch.
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