Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
Familienfoto,
wenn man so will. Geschossen anno ’44.«
»Was du
nicht sagst!«, lästerte Bartels nach einem prüfenden Blick auf die Vorder- und Rückseite
des Porträts, wo Sydows Vater das Datum vermerkt hatte. »Darauf wäre ich wirklich
nicht gekommen. Spuck’s aus, Tom: Was soll ich damit?«
»Du sollst
deinem Genie Gelegenheit geben, sich zu entfalten. Spaß beiseite – mir geht es um
die Frau.«
»Steiler
Zahn, genau meine Kragenweite.«
Um Bartels,
der Agnes höchstens bis zur Schulter gereicht hätte, nicht zu verärgern, verkniff
sich Sydow eine entsprechende Bemerkung und säuselte: »Könntest du so gut sein und
ein Porträt von ihr anfertigen?«
»Und was
sagt Lea dazu? Hab keine Lust, eins aufs Dach zu kriegen.«
»Deine Witze,
Paulchen, sind wirklich nicht mehr das, was sie mal waren.« Sydow lächelte gequält.
»Du kennst dich doch mit so was aus, oder? Was meinst du, wie würde die Frau momentan
aussehen?«
»Alter?«
»42. Blonde
Haare, gepflegte Erscheinung. Besonderes Kennzeichen: Bubi-Schnitt.«
»Hm.« Die
Stirn in Falten, stieß Bartels einen gedämpften Grunzlaut aus. Dann neigte er den
Kopf nach links, um ihn anschließend, nach einem weiteren Grunzen, in die entgegengesetzte
Position zu bewegen. »Und was springt dabei raus?«
»Auch noch
Ansprüche stellen, so haben wir’s gern. Na schön, wie wär’s mit einem Kasten Pils?«
»Abgemacht.
Und bis wann muss ich damit fertig sein?«
»Möglichst
schnell«, druckste Sydow herum, im Wissen, dass Bartels nicht der Typ war, dem man
die Pistole auf die Brust setzen konnte. »Damit es noch in die … Hör zu, Paulchen:
Die Sache eilt, und zwar sehr. Ich sag’s zwar nicht gern, aber es wäre nicht schlecht,
wenn das Bild noch in die Abendzeitungen käme. Porträt, Personenbeschreibung, Fahndungsaufruf
– und fertig ist der Lack!«
»Wie bitte?
Du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank!«
»Was anderes:
Weißt du, was man sich über dich erzählt?«
Böses ahnend,
schüttelte Bartels den Kopf und wich Sydows Blick aus. »Nö.«
»Du hättest
die Kühnheit besessen, meine Sekretärin um ein Rendezvous zu bitten. Und weißt du,
was das Tollste ist? Man sagt, Fräulein Mollig habe zugestimmt.«
»Und wer,
mit Verlaub, ist ›man‹?«
»Meine Wenigkeit.«
Sydow grinste über beide Ohren. »Tja, Herr Diplom-Junggeselle, die Welt ist klein,
fast so klein wie der Wannsee, an dessen Gestaden unser wie aus dem Ei gepellter
Polizeizeichner und seine ihn um Haupteslänge überragende Angebetete unlängst zu
promenieren geruhten. Verliebt wie die Turteltauben, die vergessen, was um sie herum
ge…«
»Jetzt ist
es aber genug, du Petze!«
»Was heißt
hier ›Petze‹, Paulchen! Ich kann schweigen, schweigen wie ein Grab. Vorausgesetzt,
du kooperierst.«
»Zwei Kästen
Berliner Kindl. Das ist mein letztes Wort.«
»Einverstanden.«
»So, und
jetzt mach, dass du rauskommst, elender Erpresser!«, grummelte Bartels, warf einen
weiteren Blick auf das Foto und kehrte an seinen Zeichentisch zurück. »Das werd’
ich dir heimzahlen, verlass dich drauf.«
»Ach, Paulchen«,
seufzte Sydow gedehnt, stand auf und schlenderte zur Tür. »Wie ich dich kenne, brennst
du darauf, mir einen Freundschaftsdienst zu erweisen, oder? Also dann: Bis nachher,
und fröhliches Schaffen!«
*
Wieder im Treppenhaus, in dem es
beinahe so muffig wie in Bartels’ Rumpelkammer roch, stieß Sydow einen Seufzer der
Erleichterung aus und machte sich auf den Weg in den ersten Stock, um sich bei Krokowski
nach dem Stand der Ermittlungen zu erkundigen. Die Sache mit Morell lag ihm schwer
im Magen, und er hoffte, dass ihm nichts anderes in die Quere kommen würde.
Er hoffte
vergeblich.
Kriminalrat
Kurt Augustin, sein Vorgesetzter, besaß nämlich die Eigenschaft, immer dann aufzutauchen,
wenn man nicht mit ihm rechnete. Oder, wie im vorliegenden Fall, bis zum Hals in
Arbeit steckte. Nicht etwa, dass Sydow nicht mit ihm ausgekommen oder er ihm auf
die Nerven gegangen wäre. Augustin, ein distinguierter älterer Herr, gefiel sich
in der Rolle des Patriarchen und besaß die Fähigkeit, Problemen so lange aus dem
Weg zu gehen, bis sie sich von selbst erledigten. War dies nicht der Fall, durften
sich seine Untergebenen, das heißt unter anderem er, damit herumschlagen. Bei den
Betroffenen sorgte dies nicht unbedingt für Begeisterung, doch mittlerweile hatte
Sydow gelernt, die Schwächen seines Vorgesetzten auszunutzen. Lieber ein Kriminalrat,
der die
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