Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
Zügel schleifen ließ, als ein Jungspund, der einem andauernd auf die Finger
sah. So lautete sein Motto.
»Sydow –
Sie hier? Ich dachte, Sie hätten sich freigenommen!«, begrüßte ihn der 64-jährige
Leiter der Kriminalinspektion I, dem die Vorfreude auf die bevorstehende Pensionierung
deutlich anzumerken war. Ein Lächeln auf den Lippen, die von einem sorgsam zurechtgestutzten
weißen Schnurrbart überwölbt wurden, ließ es sich Augustin, hinter vorgehaltener
Hand ›Onkel Kurt‹ genannt, selbstredend nicht nehmen, sich nach seinem Befinden
zu erkundigen. Eine, gemessen an den Umständen, nicht leicht zu beantwortende Frage,
doch da Sydow den hochgewachsenen, weißhaarigen und wie stets mit Anzug, karierter
Weste, Uhrenkette und geblümter Krawatte bekleideten Prototyp einer Vaterfigur kannte,
ging er über die Ereignisse der vergangenen Stunden hinweg und entschied, die Floskel
mit einer Floskel zu beantworten und die Beerdigung seiner Tante nicht zu erwähnen.
»Dachte
ich auch, Herr Kriminalrat«, erwiderte Sydow, dankbar, den Fängen seiner Mutter
entronnen zu sein. Und fügte mit perfekter Unschuldsmiene an: »Wenn Not am Mann
ist, bin ich natürlich zur Stelle.«
»Guter Mann.
Ich wünschte, alle hier wären so wie Sie.«
Sydow zuckte
vor Schreck zusammen. Das hörte sich aber gar nicht gut, um nicht zu sagen bedrohlich
an. Wenn es etwas gab, das ihn in Panik versetzte, dann die Aussicht, zum Nachfolger
von Onkel Kurt ernannt zu werden. Ausgerechnet er, der er mit Büroarbeit im Allgemeinen
und Formularen im Besonderen auf Kriegsfuß stand. Nie und nimmer durfte das geschehen.
Damit würde man den Bock zum Gärtner und ihm, Sydow, das Leben zur Hölle machen.
»Wie ich? Lassen Sie das bloß meine Frau nicht hören!«
Stets zu
Scherzen aufgelegt, schüttelte sich Augustin vor Lachen. »Na, Sie sind mir vielleicht
einer!«, japste er und wedelte tadelnd mit dem Zeigefinger. »Ich finde, es ist an
der Zeit, dass man ihr die Augen öffnet.«
»Das finde
ich auch, Herr Kriminalrat!«, ließ Sydow verlauten und machte Anstalten, sich in
Richtung Treppenabsatz davonzustehlen. »Je früher, desto besser.«
»Prima –
dann am besten gleich heute Abend.«
»Heute …?«,
begann Sydow, bevor ihm einfiel, auf was Augustin anspielte.
»Punkt acht
im Sanssouci. Und keine Minute später.« Onkel Kurt setzte seinen Oberlehrerblick
auf. »Sagen Sie bloß, Sie haben es vergessen.«
»Natürlich
nicht, wo denken Sie hin!«, beteuerte Sydow und rang sich ein Lächeln ab, das selbst
wohlmeinende Beobachter als heuchlerisch bezeichnet hätten. Kurt Augustin, nur noch
gut sieben Stunden im Dienst, schien sich daran jedoch nicht zu stören. »Kann sein,
dass es ein bisschen später wird. Ein neuer Fall, Sie verstehen.«
»Ich weiß,
Krokowski hat mich bereits informiert.«
»Die Tote
wurde regelrecht exekutiert. Scheint so, als bekämen wir eine Menge Arbeit.«
Der Kriminalrat
auf der Zielgeraden zur Pensionierung winkte ab. »Das kann warten«, beschied er
seinen Untergebenen und winkte ihn näher heran. »Oder ist es Ihnen egal, wer mein
Nachfolger wird?«
Ja, das
war es, Hauptsache, der Kelch würde an ihm vorübergehen. »Natürlich nicht!«, antwortete
Sydow, bemüht, Interesse zu heucheln.
Ein Kraftakt,
den ihm keiner abnahm. Schon gar nicht der Kollege, der wie aus dem Nichts aufgetaucht
war. »Tatsächlich?« Kriminalhauptkommissar Wagenbach liebte die großen Auftritte,
wie jetzt, als er in das Gespräch seines Mentors mit Sydow, dem erklärten Intimfeind,
platzte. Er war noch jung, das heißt gerade einmal 34, effizient, eloquent und legte
ein Selbstbewusstsein an den Tag, das die Mehrheit im Präsidium zum Speien fand.
Viel auszumachen schien es dem Weddinger, der auf alles eine Antwort wusste und
eine wahre Blitzkarriere hinter sich hatte, jedoch nicht. Wagenbach kam stets geschniegelt
und gebügelt daher, hatte ein Faible für dunkle Anzüge und die Angewohnheit, mit
angefeuchtetem Haar herumzulaufen. Sein Markenzeichen war jedoch der Diplomatenkoffer,
den er überall mit sich herumschleppte und so gut wie nie unbeaufsichtigt ließ.
Spötter behaupteten, er nehme ihn sogar mit ins Bett, was Sydow, der keine Hemmungen
besaß, in den Chor der Lästermäuler einzustimmen, ihm ohne Weiteres zugetraut hätte.
»Hört sich aber nicht so an.«
Das war
nicht sein Tag, und da er nicht wusste, was er bereithielt, kämpfte Sydow seine
Neigung zu ironischen Bemerkungen nieder, stellte auf Durchzug und fand
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