Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
führen. Damit war es vorbei. Ein für alle
Mal.
Hinzu kam
der Ärger, den er seinem Freund Sydow bescheren würde. Als Erstes würde Tom aus
der Haut fahren, wenn er davon hörte. Dann würde er der Stationsschwester, ohne
die seine Flucht zum Scheitern verurteilt gewesen wäre, die Hölle heißmachen, Streifenwagen
losschicken, halb Berlin und seine Bude in der Tauentzienstraße auf den Kopf stellen.
Finden oder erneut in Gewahrsam nehmen würde er ihn jedoch nicht. Rosenzweig lächelte.
Niemand würde ihn finden, schon gar nicht der BND, welcher erneut sein wahres Gesicht
gezeigt hatte.
Dafür würde
er sorgen.
Alles, worauf
es jetzt ankam, war, keinen Verdacht zu erregen. Er musste so tun, als sei es die
normalste Sache der Welt, in Arztklamotten und Clogs durch die Gegend zu spazieren
und obendrein noch den Arm in einer Schlinge zu tragen. Und er durfte sich die Schmerzen,
die ihn beinahe um den Verstand brachten, nicht anmerken lassen. Besonders nicht
in Gegenwart des Taxifahrers, der ihn vor Kurzem aufgegabelt hatte.
Nach Hause.
Wohin denn sonst. Nicht etwa in seine Mansardenwohnung, sondern dorthin, wo er sich
während des Krieges versteckt gehalten hatte. Auf die Idee, ihn dort zu suchen,
würde niemand kommen.
Garantiert.
»Irjendetwas
nicht in Ordnung mit Ihnen?«, fragte der Taxifahrer, nachdem er von der Bismarckstraße
in Richtung Kurfürstendamm abgebogen war. »Nüscht für unjut: Aber Sie sehen aus
wie der Tod auf Urlaub.«
Rosenzweig
schüttelte den Kopf. Es stand nicht gut um ihn, das wusste er selbst. Die geringste
Bewegung, und ein Schmerz durchzuckte seine Schulter, den er nur mit Mühe unterdrücken
konnte. Wäre das Morphium nicht gewesen, welches ihm seine Gönnerin verabreicht
hatte, hätte er längst schlappgemacht, und die Frage war, wie lange er die Tortur
noch durchhalten würde. »Finden Sie?«
Es war höchste
Zeit, dass er sein Refugium erreichte, dort würde er sich wenigstens ausruhen können.
Nur wie
lange, das war die Frage.
Der Gedanke,
welcher ihm in diesem Moment kam, durchfuhr ihn wie der Blitz. Rosenzweigs Miene
entspannte sich, und er fragte sich, wieso ihm die Idee nicht schon früher gekommen
war. Es gab da einen Ausweg für ihn, in der Tat. Einen Schachzug, mit dem er sämtliche
Verfolger düpieren konnte. Dazu brauchte man zwar ein wenig Mut, den Mut der Verzweiflung
sozusagen. Aber den würde er schon aufbringen. Der Boulevardreporter holte tief
Luft. Je länger er die Option erwog, desto mehr Gefallen fand er jedoch an ihr.
Auf einen Schlag wäre er sämtliche Sorgen los, die Angst, wie ein räudiger Hund
abgeknallt zu werden, die Furcht, welche sein täglicher Begleiter werden würde.
Alles, was
er brauchte, war ein wenig Mut. Und die Überzeugung, das Richtige zu tun.
»Am besten,
Sie lassen mich hier raus.«
»Wat denn,
hier schon? In Ihrem …«
Ȇber meinen
Zustand machen Sie sich mal keine Sorgen.« Rosenzweig biss die Zähne zusammen, kramte
in der Tasche des Arztkittels herum und kam nicht umhin, einen Seufzer der Erleichterung
auszustoßen. Es gab Menschen, die dachten wirklich an alles. So wie die OP-Schwester,
deren Name Maria war und die ihn mit allem, was er benötigte, versorgt hatte. Oder
wie Tom, der seinetwegen Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatte. Es gab sie
noch, diese Menschen, wenngleich ihn das Gefühl beschlich, dass sie am Aussterben
waren.
»Ich habe
zu danken, der Rest ist für Sie.« Der geborene Gentleman namens Rosenzweig bedankte
sich, lüpfte die Beine aus dem Taxi und mobilisierte die letzten Kräfte, die ihm
noch verblieben waren. Vom Fehrbelliner Platz, wo ihn der Fahrer abgesetzt hatte,
hatte er noch einen halben Kilometer zu gehen. Nicht weit, in seinem Zustand jedoch
eine Tortur. Rosenzweig blieb schwer atmend stehen, die rechte Hand an der Hauswand
und die linke auf seinen Druckverband gepresst. Die Leute drehten sich nach ihm
um, blieben stehen, warfen einander fragende Blicke zu. Rosenzweig ignorierte sie.
Das Schlimmste, was ihm jetzt passieren konnte, war, dass ihm jemand Hilfe anbot,
sich seiner annahm, Fragen stellte. Er würde es auch so hinkriegen, ohne sie.
Eine knappe
halbe Stunde später, nach etlichen, endlos anmutenden Verschnaufpausen, war es schließlich
geschafft. Rosenzweig war am Ziel, umgeben von einem Dutzend Lauben, deren Umrisse
sich in der Abenddämmerung abzeichneten. Eine Ewigkeit war vergangen, seit er zum
letzten Mal hier gewesen war, doch es schien, als sei es erst gestern
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