Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
ich ehrlich bin, möchte
ich den Empfang zu Ehren meines Chefs auf keinen Fall verpassen. Nicht für alles
Geld der Welt.«
»Typisch
mein Sohn. Alles andere ist ihm wichtig, nur die eigene Mutter nicht.«
Da stand
sie nun, eine Lesebrille um den Hals und die Hand auf den Stock aus Mahagoni gestützt.
Wie in Erz gegossen, als stünde sie bereits 100 Jahre hier. Eine Mischung aus Alter
Fritz und Wellington [54] ,
welche es nicht abwarten konnte, ihm die Leviten zu lesen.
»Du weißt
doch, dass das nicht stimmt, Mutter.« Um der zu erwartenden Moralpredigt zuvorzukommen,
setzte Sydow sein Strahlemannlächeln auf und schnurrte: »Was kann ich denn dafür,
dass es so viel zu tun gibt!«
»Das hat
dein Vater auch immer gesagt.«
»Lass dich
umarmen, Mutter!«, sagte Sydow und hasste sich für das, was er gerade tat. »Schön,
dass du gekommen bist.« Heuchelei war noch nie seine Stärke gewesen, aber was sein
musste, musste einfach sein.
Die Retourkutsche
ließ nicht lange auf sich warten. Anstatt sich umarmen zu lassen, streckte die alte
Dame ihre Hand aus, einmal mehr auf Distanz zu ihrem Sohn. Der ließ sich jedoch
nichts anmerken, ergriff sie und tat so, als habe es den Affront nicht gegeben.
»So leid es mir tut Mutter, ich muss schon wieder los!«, platzte Sydow heraus, fast
froh, bei der alten Dame abgeblitzt zu sein. »Mach’s dir bequem, wir sind gleich
wieder da.«
»Wir?«
»Lea und
ich. Wir sind um acht bei meinem Chef eingeladen. Dafür kann ich ja wohl nichts,
oder?«
»Du wiederholst
dich, Thomas.«
Mutter,
wie sie leibt und lebt!, fuhr es Sydow durch den Sinn, in Gedanken bei den Gardinenpredigten,
die er in seiner Jugend hatte anhören müssen. Waterloo war wirklich nichts dagegen.
»Sei doch vernünftig, Mutter. In ein, zwei Stunden sind wir wieder da.«
»Ich kann
mir nicht helfen, aber ich fühle mich im Stich gelassen!«
»Was heißt
denn hier ›im Stich gelassen‹!«, ächzte Sydow, dem der Auftritt à la Deutsche Oper
an den Nerven zerrte. »Davon kann doch keine Rede sein. Ruh dich aus, Mutter, wir
sind bald wieder da. Und falls ein Einbrecher kommt: In meinem Schreibtisch liegt
eine Pistole. Du kannst doch damit umgehen, oder?«
Das war
zu viel, entschieden zu viel. Sydow holte Luft, um sich zu entschuldigen, kam jedoch
nicht dazu.
»Für dich,
Tom!«, hörte er Lea noch sagen, bevor sie ihm den Telefonhörer in die Hand drückte,
seine Mutter Richtung Wohnzimmer manövrierte und ihm auf seinen fragenden Blick
hin zuflüsterte: »Eine Mrs. Fitzpatrick oder so ähnlich, hat vorhin schon mal angerufen.«
Dann hielt
er den Hörer ans Ohr.
Und musste
sich wieder setzen.
22
Berlin-Wannsee, Haus Sanssouci │ 20:05 h
»Sag mal, Tom, hörst du mir eigentlich
zu?«
»Na klar.
Was hast du denn gedacht?« Das war natürlich eine Lüge, und es sprach für Kroko,
dass er nicht nachhakte. Es war ihm anzusehen, dass er nicht bei der Sache war.
Und es war kein Wunder, dass er sich nur noch mit Mühe konzentrieren konnte. »Schieß
los, alter Junge – was hast du rausgekriegt?«
»Erstens:
Laut Angaben des Geschäftsführers im ›Excelsior‹ können wir davon ausgehen, dass
Luise Nettelbeck am Spätnachmittag des gestrigen Tages …«
»Geht’s
noch ein bisschen hochgestochener?«
»… mit Morells
Redaktion, respektive mit seinem Chefredakteur, ein kurzes Telefonat geführt hat.
Hast du etwas gesagt, Tom?«
»Ich? Nö.«
»Dann ist
es ja gut.« Krokowski ließ den Blick über die Häupter der versammelten Prominenz
schweifen, welche den Salon mit Seeblick bevölkerte. Nebst einer Vielzahl von Kollegen,
die es sich nicht nehmen lassen wollten, Kriminalrat Augustin in den Ruhestand zu
verabschieden, war sogar der Büroleiter des Innensenators erschienen, und er fragte
sich, ob das nicht ein wenig übertrieben war. Augustin hatte sich nicht gerade ein
Bein ausgerissen, höchste Zeit, ihn in Ehren zu verabschieden. »Der grobe Klotz,
welcher sich Chefredakteur schimpft, hat es zwar abgestritten. Nutzt aber nichts,
denn wir verfügen über Beweise.«
»Lass mich
raten: Der BND hat ihr Zimmertelefon angezapft.«
»Du sagst
es. Der Herr Geschäftsführer war auch klug genug, dies zuzugeben. Tja, so ist das
eben: Wer hat schon Lust, sich mit dem BND anzulegen!«
»Ich.«
»Falsch.
Wir beide.«
»Tust du
mir einen Gefallen, Kroko?«
»Jeden.«
Ein flüchtiges
Lächeln huschte über Sydows Gesicht. Auf Krokowski hatte er sich immer verlassen
können und er hoffte, dass dies
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