Eiertanz: Roman (German Edition)
musste schlucken, schaute auf den Boden. Im Gras lagen Pfähle, Stangen, Planen, auf denen sich Floh vergnügt wälzte. Um sofort aufzuspringen, als er mich bemerkte. Quirin zerrte ihn am Halsband von mir weg.
»Aus, Floh. Wo warst denn gestern?«
Sein aufblitzendes Lächeln, von dem ich mich nicht mehr täuschen ließ. Dazu sein Blick, etwas verlegen. Er war blass. Am Kinn hatte er einen Schnitt vom Rasieren. Vielleicht hatte ihn seine Freundin auch gekratzt, im Rausch der Liebesnacht, die ihrem stürmischen Wiedersehen gefolgt sein musste. Gegen meinen Willen fiel mir die letzte Folge der Gänsehaut-Reihe ein. Vielleicht war ja die Erde längst aus der Umlaufbahn geraten und trudelte verloren durchs All?
Vielleicht entfernten wir uns gerade von der Sonne, und binnen weniger Tage wäre die Erde von einer Eisschicht überzogen, Wissenschaftler träfen sich zu hektischen Konferenzen, Städte lägen im Dunkeln, der amerikanische Präsident würde versuchen, die Welt zu retten. Wen kümmerte es angesichts dessen noch, ob ich am See gewesen war, noch dazu mit Quirins Bademantel? Ich murmelte irgendetwas von geschäftlichen Verpflichtungen und nahm mir vor, Christiane zu bitten, mich nach Köln vorausfahren zu lassen. Noch beschien die Sonne unseren Planeten, noch gab es die Lachschmiede, und im Büro war eine Menge zu tun.
»Gina, du kennst Susn? Susn, das ist Gina, ich hab dir ja erzählt, sie hat dich so gut vertreten, dass du nur a bissl gefehlt hast.«
Was hatte er wohl noch von mir erzählt? Und was meinte er mit: vertreten? Als Bedienung, bei der Modenschau, oder besaß er etwa die Unverschämtheit, etwas anderes anzudeuten? Susn lächelte, betrachtete ihre Konkurrenz von der Elfenkappe bis zu den Sneakers, gelassen, neugierig, freundlich, anscheinend ihrer Liebe sicher. Quirin trat verlegen von einem Bein aufs andere.
»Mei, Gina, es ist … mei, was für a blöde Situation.«
Was wollte er, hatte er etwa vor, hier im Garten ein Dreier-Gruppengespräch zu führen? Womöglich mit Lutz, der gerade um die Hausecke bog, als Mediator? Aber Lutz bemerkte uns kaum, schoss an uns vorbei, murmelte »Minze, Minze, Minze«, wie ein Mantra, und ich beschloss, der unwürdigen Situation ein Ende zu machen:
»Wenn du ihn brauchst …« – ich würde mich nicht so weit erniedrigen, das Wort Bademantel auszusprechen – »… kannst du ihn dir jederzeit abholen.« Ich drehte mich um und ging ins Haus, ersparte mir zu erwähnen, dass besagter Bademantel zwischendurch nicht nur als Taschentuch für meine Tränen und einen Teil meiner Wimperntusche, sondern auch als Unterlage auf einer Kuhweide gedient hatte. Ich würde ihn waschen müssen. Eine Aufgabe. Eine sinnvolle, würdevolle Aufgabe. Ich stopfte den Bademantel in die Waschmaschine, die ich gleich zu Anfang im Bad unter dem Pröbchenmeer freigelegt hatte. Als ich sie einschaltete, hörte ich die Haustür zuschlagen. Lutz. In den Händen etwas Grünes, Feinblättriges.
»Minze. Minze. Minze. Nimmt den Eigengeschmack von Lauch.«
»Lutz, was ist hier los? Wo ist Julia?«
»Im Café. Sie machen die Transparente. Und wenn Lauch trotzdem nicht die Lösung ist?«
»Welche Transparente?«
»Ich spür es, nein, ich weiß es: Lauch ist keine Lösung, Lauch ist keine Lösung!« Er raufte sich die Haare, warf verzweifelt das Zöpfchen zurück. Gestern, ich hatte es nur am Rand mitbekommen, hatte er seinen Haxnversuch im Café serviert und nichts als Spott geerntet. Vor allem von Özcan und Franzi. Es war ihm sehr nahegegangen, den Rest des Tages hatte er mit glühenden Augen in der Küche gewütet, erschaffen, verworfen, sich die Haare gerauft und sogar gebetet. Aus ihm würde ich nichts herausbekommen, so wie er jetzt auf und ab tigerte, mit der Minze wedelnd, die ihren Duft in der Küche verströmte. Ein Duft, der Appetit machte. Sogar Hunger.
Seit gestern hatte ich kaum etwas gegessen, erst vor verliebter Aufregung, dann aus Verzweiflung, jetzt überfiel mich plötzlich eine drängende Sehnsucht nach einem tröstlichen Produkt von Regula. Ich öffnete den übervollen Kühlschrank, durchwühlte ihn, packte Tofu, Fenchelknollen und Piccos gesundes Futter, Gurken und Möhren, auf den Tisch. Hinter den Sojamilchpackungen fand ich unsere trotz veganen Protests angelegten Käsevorräte, toastete Brot im schönsten Exemplar der Toastersammlung, während Lutz verstört hinter mir Minze hackte, »Lauch ist keine Lösung« murmelnd, und sich draußen noch mehr Publikum
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