Eiertanz: Roman (German Edition)
an der Uni, an These, Prämisse, Argumentationskette. Ich ging zu Hartl, tippte ihm auf die Schulter. »Das ist doch lächerlich!«
Nicht das beste Argument, wie ich sofort einsah, aber immerhin wirkte es. Er hielt kurz inne, schaute zu mir auf. Mit einem unergründlichen, beinahe wehmütigen, kornblumenblauen Blick.
»Ja? Moanst? Hast scho recht.« Damit wandte er sich wieder seinem Pfahl zu.
»Warum wartest du nicht, bis Chris wiederkommt, man kann doch reden!«
»Freili.« Hartl zog weiter zum nächsten Pfahl, und Therese, in Handschuhen, mühte sich ab, den Stacheldraht zu befestigen.
»Gina, es gibt nix zum Reden, glaub mir, i woaß, wia Widerstand funktioniert. Ich war damals in Wackersdorf dabei, gegen die Atomkraft! Mei, des warn Zeitn! Des habts ihr ned erlebt!«
»Jetzt fängts wieder damit an«, hörte ich diese Susn stöhnen, hatte aber keine Zeit, darauf zu achten, ich folgte Hartl, der schon den nächsten Pfahl in den Boden trieb, unter Anfeuerungsrufen des Publikums. Zwischen zwei Schlägen drehte er sich zu mir um.
»Des wird scho, des kriag ma scho.«
Hinter uns rumpelte und scharrte es, weitere Schaulustige holten Stühle vom Sperrmüll, ließen sich nieder, entspannt plaudernd. Es sei, sagte Üwe zu dem fischlippigen Mann neben ihm, bis jetzt ein wirklich gelungenes Event.
»Ooch wenn ich Dransparende nicht so gern seh«, sagte Judda, aber Üwe wies sie zurecht: »Deng nicht an den ersten Mai, Judda, deng an die Mondagsdemonstrationen.«
»Aber die genn ich nur ausm Westfernsähn. Broover Hund.« Jutta streichelte Floh, der durch die Reihen schlich, hier und da etwas zugesteckt bekam.
»Üns hammse immer vergackeiern wölln, glückliche Zügünft mit der Sowjetuniön und so«, erklärte Üwe dem Fischlippigen, wurde aber unterbrochen, als Lutz unter allgemeinem Applaus in der Dachluke auftauchte, das Dach erklomm und ein weiteres Transparent entrollte: »Rettet die Romantik!« Die Buchstaben bestanden aus weißblauen Rauten, wahrscheinlich von Julia kunstvoll gefertigt, und alle rissen ihre Fotoapparate hoch. Es lohnte sich.
Lutz trug nur sein Leopardenhöschen, hatte ein Seil um seine Brust geschlungen, es an der Luke befestigt und kletterte wie in einem Bergfilm auf dem Dach herum, ließ sich nicht stören von den Rufen der Menge, von Quirins: »Seids ihr alle wahnsinnig?«, von Susns Gegacker. Er befestigte das Transparent, richtete sich auf und blieb einen Moment stehen, leicht schwankend, wartend, bis die Menge sich beruhigte. Lächelnd winkte er zu uns herunter, legte dann die Hände wie einen Trichter vor den Mund:
»Ich hab die Lösung! Sie wird gelingen! Die Haxe!«
Der Applaus der Haxnfans übertönte alle Zwischenrufe der Haxnzweifler, und Lutz stieß einen Tarzanschrei aus, seilte sich wieder ab, durchs Fenster. Therese trat vor die tobende Menge.
»Und jetzt verteidigen wir das Haus und unser Ufer mit unseren eigenen Körpern! Wir rühren uns ned, bis sie uns wegtragen, hobts mi?«
Zwei Stunden später hatte sich die Zuschauerzahl verdoppelt. Am strittigen Uferstreifen, der jetzt Christiane gehörte und bald Strobls Eigentum sein würde, standen die Zelte, fertig aufgebaut, darüber flatterte stolz ein Transparent: »Hier entsteht ein Hüttendorf.«
Vor dem Haus war die Nail-Art-Metzgerin dabei, frech einen eigenen Stand mitten in Christianes Sperrmüll zu errichten, stellte seelenruhig Tuben und Fläschchen auf zwei zusammengeschobene Tische, lehnte Spiegel an Schränke, während Kathi missmutig und immer gewaltigere Kaugummiblasen produzierend Leberkassemmeln to go auf eine Platte schichtete. Meine durch sechs Semester Jurastudium untermauerten Argumente, dies sei ganz offiziell der Müll meiner Chefin und dürfe, selbst in einer Ausnahmesituation wie der widerrechtlichen Besetzung des zum Müll gehörenden Objekts, keinesfalls für kommerzielle Zwecke genützt werden, konterte sie mit einem lässigen: »Dei Chefin hot doch selba gsagt, ma könn’ uns ois nemma.«
Um mich gleich darauf kritisch zu mustern.
»Was hastn eigentlich dauernd dieses Kapperl auf? Bist ned zufriedn mitm Hoarschnitt?«
»Es ist jetzt wirklich nicht die Zeit, über Haare …«
»Wuist vielleicht dafür no a Nail-Art umsonst?«
»Es geht hier nicht um Nail-Art! Sondern um Paragraph 123 Strafgesetzbuch! Wer in das befriedete Besitztum eines anderen widerrechtlich eindringt …«
»Mei Gina, gä, wer mechtn so a kompliziertes Zeug hörn. Hierher!« Franzi winkte Özcan, der Flaschen im
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