Eiertanz: Roman (German Edition)
versammelte. Julia war vor dem Sperrmüll aufgetaucht, rückte hier ein Schränkchen zurecht, dort eine Vase, drapierte einen Duschvorhang künstlerisch über einem Sofa, stellte Buddhas und Marienfiguren dekorativ auf Tische und Kommoden. Ich vergaß meinen Käsetoast und stürmte zur Tür.
»Was machst du da? Was soll das alles?«
»Gina!« Sie sah mich mit flehendem Blick an. »Du musst zu uns kommen! Bitte! Du kannst einfach nicht mehr zu Chris halten, du kannst das doch nicht zulassen!«
Gemurmel im Publikum. Aus dem Kombi der Tauchschule stieg Hartl, lud zwei dick umwickelte Spulen aus. War es tatsächlich Stacheldraht? Sollten die Sadomaso-Dirndl etwa in Massenproduktion gehen?
»Zulassen? Was denn? Julia, Süße, können wir nicht vernünftig …«
»Es geht nicht mehr um Vernunft! Es geht um Kommerz oder Natur!«
Erstes, zögerndes Beifallklatschen von Üwe, andere ließen sich mitreißen.
»Sag mir doch bitte endlich, was hier los ist!«
»Chris ist schon bei Strobl! Wir wollen das Ufer retten, und du musst …«
»No, no, no, ihr werds doch ned streitn, Madln!« Einen Stoffhasen in der Hand, entblößte Anderl seine Reißzähne und drohte uns spielerisch mit dem Finger, aber Franzi brachte ihn mit einem energischen »Sei stad!« zum Schweigen.
»Woher weißt du denn, dass Chris bei Strobl ist? Und wie wollt ihr …?«
»So, jetza!« Alle wandten die Köpfe, ein Raunen ging durch die Versammelten. Therese näherte sich mit wehender Schürze. Und blieb vor mir stehen.
»Gina.« Sie sah mich ernst und feierlich an. Die folgenden Sätze sprach sie in korrektestem Hochdeutsch, mit stolz erhobenem Kinn. »Wenn du deine Chefin und die Strobls immer noch unterstützen willst, dann muss ich dich bitten, das Haus zu verlassen. Dies ist eine Hausbesetzung!«
»Kein Luxushotel. Wir lassen uns nicht vertreiben!«, stand auf dem Laken, das Hartl und Quirin über der Tür anbrachten.
»Des gibt’s doch ned, wie damisch ist das denn?« Susn lachte gackernd. Therese bedachte sie mit einem funkelnden Blick, der sie vollkommen kaltzulassen schien. Kopfschüttelnd tippte sie sich an die Stirn, und ich dachte verschwommen, dass sie sich ziemlich viel herausnahm, immerhin war Therese ihre Arbeitgeberin. Aber was kümmerte es mich, ich hatte genug damit zu tun, den Rest des Geschehens zu fassen: Julia, die von innen Transparente an den Fenstern befestigte, alle mit kunstvoll ausgestalteten roten Buchstaben beschriftet. Hartl, der von der Leiter kletterte, auf Thereses Befehl die Stacheldrahtspulen abrollte und anfing, einen Pfahl in den Boden zu schlagen. Quirin, der plötzlich neben mir stand und erneut von der blöden Situation anfing, was bildete er sich ein, was bildeten die beiden sich ein, er und seine Freundin, die nicht aufhören konnte, ständig zu gackern wie eine Henne auf Ecstasy?
»Lass mich in Ruhe!«, fauchte ich, schüttelte seine Hand von meiner Schulter.
»Pass gut auf das Haus auf«, hatte Christiane geschrieben. Und noch war sie meine Chefin. Meine Chefin, mit der ich eine Bademantelerfahrung, eine Kuherfahrung und eine Ralli-Erfahrung teilte, etwas, worauf sie großmütig reagiert hatte, bewundernswert großmütig. Außerdem teilte ich mit ihr ein unerfreuliches Geheimnis. So bald wie möglich würde ich Julia davon erzählen, sie damit hoffentlich zur Vernunft bringen.
Aber vorher musste ich die rasende, von den Schaulustigen beklatschte Entwicklung der Dinge vor Ort stoppen: Hartl hatte den ersten Pfahl eingeschlagen, trieb den zweiten in den Boden. Unter dem erregten Getuschel der Menge ging ich auf den ersten Pfahl zu, zerrte, rüttelte und wackelte, aber Hartl hatte ganze Arbeit geleistet, der Pfahl ließ sich nicht herausziehen. Um mich herum klickten Fotoapparate und surrten Filmkameras, hielten den Anblick einer rot angelaufenen, schwitzenden Beinahe-Elfe für die Ewigkeit fest. Wieder spürte ich Quirins Hände auf meinen Schultern: »Gina, hör mir zu …«
»Mei, halt sie scho auf, Quirl!«, rief Therese, schon dabei, den Stacheldraht abzurollen, und ich ließ den Pfahl los, entwand mich Quirins Griff.
»Lass mich! Fass mich bloß nicht mehr an!« Auf keinen Fall würde ich mich von Quirin wegzerren lassen, vor den Augen seiner gackernden Freundin. Auch sonst würde ich es nicht zu Handgreiflichkeiten kommen lassen. Wir alle waren erwachsen, der Sprache mächtig. Mehr als das, sogar der kontroversen Diskussion.
Verschwommen dachte ich an ein lang zurückliegendes Seminar
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