Eiertanz: Roman (German Edition)
Recht auf ihre Wut zusprach, mich aber, ich spürte es genau, zugleich aufforderte, meine Version zu erzählen. Von einem Schwanzschlag angefeuert, erging ich mich in einer Kaskade von Beteuerungen und Entschuldigungen, Bekenntnissen, wie gern ich bei Christiane arbeite, dass ich es ihr immer hätte sagen wollen, aber in letzter Zeit habe sie mich ständig nur in ihr Büro zitiert und mit Aufträgen überschüttet, und irgendwie sei nie der richtige Moment gekommen … Regula wandte den Kopf, wie um Christiane das Zeichen zu geben, dass sie wieder an der Reihe war, und Christiane gehorchte:
»Ja, vielleicht war ich etwas … gestresst in letzter Zeit. Das stimmt. Manchmal geht mir das alles so auf die Nerven, ich … wie auch immer, ich habe mit ihm Schluss gemacht. Das war auch ein Grund, warum ich dich hier so lange allein gelassen habe. Aber nicht der einzige. Willst du auch einen Schluck?«
Ich nahm die Flasche. Der Wein brannte in meinem Hals. Wieder wurde mir die Ungeheuerlichkeit klar: Ich lag in meinem besten Kostüm auf einer Weide, an eine Kuh geschmiegt, teilte mir eine Flasche Rotwein mit meiner Chefin, die sich aufrecht hingesetzt hatte und der Kuh in die sanften, schön bewimperten Augen schaute. Ziemlich lange. Es war nicht Regula, die zuerst den Blick senkte.
Christiane starrte eine Weile ins Gras, dann sank sie aufseufzend zurück an Regulas warmen Leib.
»Schorschelchen, es gibt noch etwas, was ich dir sagen muss.« Verwirrt darüber, dass sie mich jetzt, nachdem sie alles wusste, noch Schorschelchen nennen konnte, trank ich einen weiteren, großzügig bemessenen Schluck Wein. Der mir in den falschen Hals geriet, als ich verstand, was Christiane jetzt erzählte: dass es der Lachschmiede sehr schlecht ginge, schon seit längerem. Es liege an der vergangenen Wirtschaftskrise, Firmen, die ihre Rechnungen nicht bezahlten, weil ihre Kunden die Rechnungen auch nicht bezahlten. Geplatzte Kredite und, wie ich ja sicher mitbekommen hätte, geplatzte Großevents. Auf den Messen habe sie noch versucht, das eine oder andere zu retten, aber jetzt seien auch noch zwei der Hauptsponsoren abgesprungen … Sie brach ab, und Regula seufzte mitfühlend, gleichzeitig ermutigend. Christiane holte tief Luft: »Schorschelchen, wenn nicht ein Wunder geschieht, stehe ich kurz vor der Insolvenz. Bei allen Göttern, wie kann man sich nur so verschlucken?«
Sie klopfte mir auf den Rücken, während ich hustete, nach Luft rang, wieder hustete, erzählte mir dabei, heute, hier bei der Kuh, habe sie begriffen, dass es wohl klüger sei, die Hoffnung auf ein Wunder, sprich das Testament, aufzugeben. Wenn wir es bis jetzt nicht gefunden hätten, auf dem Dachboden werde es wohl auch nicht sein. Oder wenn, dann jedenfalls nicht auffindbar.
»Was meinst du, Schorschelchen, kannst du dir noch einen Platz vorstellen, wo es sein könnte?«
»Ich … ich hab keinen Job mehr?«
Endlich war ich wieder zu Atem gekommen, und Christiane hörte auf zu klopfen.
»Wenn kein Wunder geschieht.«
Eine Weile schwiegen wir beide. Regula hob ihren Schwanz und ließ dezent einem Wind freien Lauf, vielleicht, um uns daran zu erinnern, dass alles eben kam, wie es kommen musste, dass der Mensch jenseits seines begrenzten Egos, seiner ehrgeizigen Kämpfe um Macht, Ansehen, Geld und Liebe Teil von etwas Größerem war, aufgehoben in der mütterlichen, allumfassenden Natur. Christiane trank den letzten Schluck Rotwein, ohne mir noch einmal die Flasche anzubieten.
»Weißt du was, Schorschelchen?« Ihre Wörter klangen an den Enden schon ein bisschen ausgefranst. »Seit meinem Studium habe ich nur gearbeitet und gearbeitet. Manchmal frag ich mich, wozu das alles gut ist. In letzter Zeit ist mir oft der Verdacht gekommen, ich hätte irgendwas verpasst.«
»Äh … verpasst?«
»Auch, was die Liebe betrifft. Als ich mir anhören musste, was sich in unserem Haus so abspielt, wär ich fast neidisch geworden.«
»Du meinst die Kamasutra-Übungen?«
»Was war eigentlich mit diesen Zwerggeckos? Das klang auch interessant.«
Ich antwortete nicht, schluckte an dem Kloß in meinem Hals. Wie konnte Christiane so herzlos sein, von Zwerggeckos zu reden, jetzt, da ich vermutlich bald keinen Job mehr haben würde. Quirin hatte mich auch nur ausgenutzt, und ich war darauf hereingefallen. Und vielleicht war selbst Regulas Zuneigung nicht echt. Bei diesem Gedanken schluchzte ich auf, und Christiane sah mich an, mit einem etwas verschwommenen Blick.
»Nimm
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