Eiertanz: Roman (German Edition)
für die Gegend recht zivilisiert sei. Jetzt, am Seeufer entlangeiernd, auf unpassendem Schuhwerk, erinnerte ich mich an etwas, was meine Mutter einmal gesagt hatte: dass die meisten Menschen niemals das taten oder lebten, wovon sie sprachen, sondern meist genau das Gegenteil – was man unter anderem auch an ihrer ältesten Tochter Georgina sehe, deren Lieblingswort »perfekt« sei. Alexander Strobls Lieblingswort war eindeutig »zivilisiert«. Eine Bezeichnung, die auf das Restaurant, eine modernere, teurere Version von Thereses Café, einigermaßen zutraf. Und anfangs auch noch auf Strobl, der Wein bestellte, mir versicherte, alles sei kein Problem, er werde mich in ein Hotel bringen, am nächsten Morgen mit mir den Strafantrag aufsetzen und ihn direkt bei der Polizei abliefern. Er wundere sich allerdings ein wenig, dass meine Chefin mich so hängen lasse. Der Wein wärmte angenehm von innen, die Spaghetti Carbonara schmeckten besser, als sie aussahen, und am liebsten hätte ich überhaupt nicht geredet, aber ich erklärte ihm, es sei schon in Ordnung, Christiane sei den ganzen Tag im Beerdigungsinstitut gewesen, dann beim Notar.
»Und wo ist sie jetzt?« Strobl aß nichts, trank nur und schenkte mir Wein nach. In meinem kühlsten Geschäftston versicherte ich ihm, es gebe sicher eine Erklärung für alles, und streckte die Beine unter dem Tisch aus. Ein Fehler. Ich spürte etwas an meinen Knöcheln. Etwas, was ich zuerst nicht identifizieren konnte. Stoff. Und unter dem Stoff bewegte sich etwas. Ein Fuß. Ein bestrumpfter Fuß, der über mein Bein strich. Ich starrte Alexander Strobl an, der sich nichts anmerken ließ, mir erzählte, was er für den Uferstreifen plane, wenn erst das Haus abgerissen sei und das leidige Tauchschulenproblem sich erledigt habe. Er nahm einen Schluck Grappa. Dann einen größeren Schluck Wein. Und ein zweiter bestrumpfter Fuß gesellte sich zum ersten, erforschte meinen Knöchel, Zehen versuchten, unter die Riemen meiner Sandalen zu dringen, während er mich fragte, ob ich den Lago Maggiore oder den Wörthersee kenne. In seinen Augen sah ich jetzt jene Glut, die auch in Lutz’ Blick gelodert hatte, kurz bevor er aufheulend auf das Fenster des großen Zimmers losgesprungen war. Würde Strobl jetzt gleich auf mich losspringen? Was sollte ich tun, das Tischtuch lüpfen, seine bestrumpften und meine unschuldigen, von Riemchen nur unzureichend geschützten Füße der Öffentlichkeit preisgeben? Ich entschied mich dafür, die Füße wegzuziehen, was, wie erwartet, nichts half. Er rutschte tiefer in seinen Sitz und streckte die Beine aus. Als ich ihm, so eisig wie ich konnte, befahl, diese Spielchen doch bitte zu lassen, ich wolle jetzt ins Hotel, und zwar sofort, flackerte sein Blick. Er stürzte den Rest seines Grappas herunter.
»Aber selbstverständlich, Gina. Die Rechnung, bitte.«
»Frau Zuhlau.«
»Jawohl, Frau Zuhlau. Gehen wir ins Hotel.« Seine Stimme klang heiser.
Es war mein Verlangen nach einer kleinen heimatlichen Insel, dem Schokoladentäfelchen auf dem Kopfkissen, das mich gegen jede Vernunft glauben ließ, ich könne Alexander Strobl, der beim Bezahlen wieder in seine Schuhe geschlüpft war und mit offenen Schnürsenkeln ein Stück hinter mir ging, dazu bringen, mich am Hotel abzusetzen, mir das Geld vorzustrecken und zu verschwinden. Ohne mich nach ihm umzusehen, überquerte ich hoch erhobenen Hauptes den Parkplatz, bildete mir ein zu spüren, wie seine Blicke über meine Beine huschten, sich an meinen Füßen festsaugten. Vor der Beifahrertür des Porsche blieb ich stehen. In meinem Nacken Strobls heißer Atem.
»Korksohlen, woher hast du das gewusst«, stöhnte er in mein Ohr, hatte die Tür schon entriegelt, versuchte, sie mit einer Hand zu öffnen. Die andere lag an meiner Hüfte, sein bestrumpfter Fuß rieb meine Wade. Als ich ihn wegstieß, erhaschte ich einen Blick auf seine grauschwarzen Socken, erkannte die Umrisse des Eiffelturms auf dem Spann. Ein älteres Paar beobachtete uns, starrte den auf einem Schuh und einem Socken tanzenden Strobl an, die Frau stieß ein unterdrücktes »Mei« aus, als ich mich bückte, Strobls verwaist auf dem Parkplatz stehenden Schuh nahm und ihn fortschleuderte, so weit ich konnte. Für Leichtathletik war ich in meiner Schulzeit begabter gewesen als für Ballett, in jener Zeit, als wir alle in unseren Sportlehrer verliebt waren, sogar ziemlich begabt, was mir jetzt zugute kam: Der Schuh flog hoch und weit, vielleicht noch
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