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Eiertanz: Roman (German Edition)

Eiertanz: Roman (German Edition)

Titel: Eiertanz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Brendler
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durch die Kraft und die Glut jener frühen Liebe beflügelt. Der Wurf entlockte dem männlichen Teil des uns beobachtenden Paares einen unterdrückten Laut der Anerkennung. Worauf sie in ihr Auto stiegen. Und mich mit dem entfesselten, eiffelturmbestrumpften Strobl allein ließen, den mein Wurf erst richtig heiß gemacht zu haben schien. Mit einem rauhen »Das ist eine italienische Maßanfertigung, du Korksohlenluder« drängte er mich auf den Beifahrersitz, rutschte hinterher. Aber bevor er die Türen sichern konnte, gelang es mir, ihn wegzustoßen, mit einem gezielten Tritt dorthin, wo es weh tat. Ich sprang aus dem Auto, schon rannte ich Richtung See, hörte seine Schritte hinter mir. »Du willst es doch! Du hast diese Schuhe ja extra angezogen!« Wieder half mir meine Leichtathletikbegabung, vielleicht auch das Training durch die körperliche Arbeit im Haus oder die Tatsache, dass er nur einen Schuh trug, er holte mich nicht ein und ich rannte über die Uferpromenade, eilte eine Treppe hinunter, sprang in den Sand. Auf meinen Korksohlen spurtete ich am Ufer entlang, als wäre ich hinter einer Medaille her. Hinter mir heulte ein Motor auf. Suchte er mich oder brauste er frustriert davon, den beschuhten Fuß auf dem Gas, den besockten auf der Kupplung? Würde er vielleicht vorausfahren, am nächsten Zugang zum Ufer auf mich warten? Aber am nächsten Zugang warteten nur die Küssenden, die nicht wussten, wie weit es nach Neuenthal war. Zumindest die Richtung stimmte. Dessen war ich mir hinter der nächsten Biegung sicher. Zwischen Bäumen erhob sich undeutlich etwas Dunkles, Massiges. Ein Turm. Der Aussichtsturm, den ich den Sachsen bei der Führung nicht gezeigt hatte. In entmutigender Ferne. Ich dachte an einen Bericht über eine Mount-Everest-Besteigung, den ich einmal gesehen hatte: Jeder Schritt sei ein Schritt näher zum Gipfel, hatte ein rauschebärtiger Bergguru gesagt. Obwohl ich mir sicher war, dass kein Bergsteiger bisher versucht hatte, den Mount Everest auf Korksohlen zu bezwingen, war der Gedanke doch tröstlich, und Schritt für Schritt stolperte, strauchelte und taumelte ich auf mein Ziel zu.
    Als ich am vertrauten Uferstreifen ankam, schaute ich auf das Display meines Telefons: 00.59 Uhr. Außerdem leuchtete eine unbekannte Telefonnummer auf, ein Anruf, den ich bei der Flucht überhört haben musste, ebenso wie den Hupton einer um 22.25 Uhr eingetroffenen SMS. Geschrieben von Julia.
geht’s dir gut? quirin sagt, du bist mit strobl weg. wenn du hilfe brauchst, melde dich. j.
    Vor der dunklen Tauchschule schwangen die Blumen in ihren Kübeln im sanften Wind, der Steg lag verlassen. Leise Musik, vom Parkplatz her. Nat Wildmosers Männer waren verschwunden, ebenso die Mitglieder der Blaskapelle, nur der Posaunist hielt noch durch. Auf einem Sperrmüllsofa sitzend, blies er eine schwüle Melodie, begleitet von dem Akkordeonisten, dazu sang die Blondierte aus dem Edeka etwas, das wie »schewäschewäschewä« klang und mir seltsam bekannt vorkam. Nat Wildmoser, an dessen Schulter sie lehnte, hauchte dazu etwas auf Französisch. Ihre einzigen Zuhörer, Üwe und Judda, lagen auf einem Sperrmüllsofa, tranken aus einer gemeinsamen Flasche Rotwein, wie es aussah, aus Christianes Vorrat, wahrscheinlich großzügig gestiftet von Lutz und Julia. Der Stand der Nail-Art-Metzgerin war säuberlich aufgeräumt, ebenso Franzis Klapptisch mit der Behelfsumkleide. Am Stacheldraht hing einsam Thereses Kette. Als ich auf die Haustür zuging, hielt mich niemand auf.
    »Je t’aime«, hauchte Nat Wildmoser in die Luft, mit leicht bayerischem Akzent, worauf die Blondierte ihr »Wäschewäschewä« flötete und mir endlich einfiel, wo ich das Lied heute schon einmal gehört hatte: durch den Lautsprecher meines Telefons, als ich mit meiner Chefin gesprochen hatte. Die sich im Fahrstuhl eines Beerdigungsinstituts befand, zumindest nach ihrer Aussage.
    »Na, meine Guddsde, wird’s nischt?« Ich gab das sinnlose Rütteln an der verschlossenen Tür auf, drehte mich um zu Üwe und Judda.
    »Gannsd eine Benndiede ham, wir broochen geene zweie.« Unter Rotweineinfluss verstärkte sich Üwes sächsischer Akzent bis zur völligen Unverständlichkeit. Es war Judda, die mir erklärte, dass eine Penntüte ein Schlafsack war, dass sie zwei davon besaßen, aber nur einen brauchten – etwas, das ich nicht weiter hinterfragte –, dass die Party nach dem Haxngenuss ziemlich ausgeufert sei, was wohl an den Äfrodisiaga liege, also an

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