Eiertanz: Roman (German Edition)
dann Thereses Seufzen.
»Du wirst deine Show haben, Therese.« Julias Stimme, engelhaft wie gewohnt, dabei entschlossen. »Ich werde mir etwas einfallen lassen, ich versprech’s.«
Nein, ich würde mich nicht ärgern. Es war albern und unter meiner Würde, mich zu ärgern. Darüber, dass Picco das Karöttchen angurrte, sogar neue Wörter von ihm lernte und nicht mehr seinen Bauarbeiterpfiff ausstieß, wenn ich vorbeiging. Nach der Modenschau-Probe, als Julia und Karöttchen einkaufen gefahren waren, hatte ich einen unwürdigen Versuch gestartet, war einige Male an Piccos Käfig vorbeistolziert, hatte mich sogar dabei erwischt, wie ich mich um besonders gezierte Schritte bemühte. Worauf Picco sich noch ein wenig mehr aufplusterte und den Kopf wegdrehte. Für das, was ich dann getan hatte, schämte ich mich immer noch. Es war kindisch, einen Schlüssel vor einem Papageienkäfig zu schwenken. Und noch kindischer war es, dem Papagei dabei die Zunge herauszustrecken. Was Picco auch zu finden schien.
Jetzt gurrte Picco wieder. Vor seinem Käfig, im Schaukelstuhl, kuschelten Julia und das Karöttchen, schmiedeten Pläne. Bei offener Tür, damit ich es, alleine schuftend in Planquadrat C2, Abschnitt 1.1, auch ja mitbekam.
»Was meinst du, vielleicht doch ein gewagteres Motto, wie ›Lodernde Loden‹?«
»Was hältst du von vegetarischem Thai-Huhn in Kokossauce? Oder von Fettuccine mit gebratenen Früchten?«
»Halt die Goschn.«
»Also nicht. Picco, was ist mit indischem Gemüse mit Couscous?«
»Kusskuss. Mama liab. Picco liab. Kusskuss.«
»Hör mal, Engel, er hat Couscous gesagt.«
»Wie süüüß!«
»Dabei ist er so unglücklich in seinem Käfig. Lange schau ich mir das nicht mehr an!«
»Ach, Schatz, du bist so gut!«
Irgendwer im Universum musste etwas gegen mich haben. Planquadrat C2 war voller Papier, Staub und kleinen, schwarzen Körnchen, über die ich lieber nicht genauer nachdachte. Der Staub löste Dauerniesanfälle bei mir aus. Mirkos SMS wurden immer spärlicher und unpersönlicher. Selbst Picco hatte das Interesse an mir verloren. Niesend blätterte ich mich durch das zwanzigste Album mit eingeklebten Blumen, setzte meine Ohrstöpsel ein gegen das fröhliche Geplauder der glücklichen Familie mit Papagei unter mir. Die Zeiten, in denen ich ein Zimmer pro Tag geplant hatte, waren ferne, verklärte Vergangenheit. Außer Blumenalben und tonnenweise verstaubtem Geschenkpapier stapelten sich im Eckzimmer des ersten Stocks Reiseprospekte und Kataloge, Stöße von vergilbtem Schreibmaschinenpapier und unbenutzten Durchschlägen. Ich rammte meine Ohrstöpsel tiefer ins Ohr, drehte den Sprecher der Gänsehaut-Reihe lauter und schlug das nächste Blumenalbum auf. Gleich das erste Bild war eine Margerite. Entnervt blätterte ich um, während der lispelnde Sprecher sich in immer detaillierteren Beschreibungen dessen erging, was die verfolgten Liebenden in der Hütte auf der Klippe taten und welch erssschütternde Leidenschaft sie dabei erlebten. Eine Leidenschaft, die ich noch nicht einmal ansatzweise kannte.
Wenn ich die Jahre und die Männer Revue passieren ließ, fielen mir entweder langweilige, peinliche oder katastrophale Ereignisse ein. Vielleicht wurden manche Menschen so geboren, mit Rezeptoren, an denen das Peinliche andocken konnte. Vielleicht sollte ich mich Forschern als Versuchsobjekt zur Verfügung stellen. In meinem Bett bekamen Männer Wadenkrämpfe, verloren nicht nur die Beherrschung, sondern auch Kondome, kostbare Ohrringe und Zahnkronen. Die erste Nacht mit Prinz Muffel hatte beim Notzahnarzt geendet. Was im Vergleich zu den nächsten zwei Jahren noch das Spannendste war, was wir miteinander beim Sex erlebten. Mein einziger Versuch eines Seitensprungs hatte im Anschluss an ein Unifest stattgefunden. Wir hatten uns in Trance getanzt, der junge, begehrte Gastdozent für Verfassungsrecht und ich, und ich spürte die neidischen Blicke meiner Kommilitoninnen, als er mich an sich zog, dabei war die Musik kein Blues, eher ein Oldie, mit aufreibendem Rhythmus und noch aufreibenderem Text: »Urgent, so urgent«, raspelte ein heiserer Sänger, und wie auf Befehl taumelten wir weg von der Tanzfläche, weg von dem Fest, urgent, so urgent war es, er konnte gar nicht schnell genug ein Taxi heranwinken, immer noch hämmerte der unerbittliche Rhythmus des Liedes in meinem und bestimmt auch in seinem Kopf, wie im Rausch taumelten wir aus dem Taxi, durch ein Treppenhaus in eine dunkle Wohnung.
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