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Eiertanz: Roman (German Edition)

Eiertanz: Roman (German Edition)

Titel: Eiertanz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Brendler
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bodenständig, praktisch, aber im untersten Chakra befangen war. Ich hatte darauf verzichtet, nachzuschlagen, was das unterste Chakra bedeutete. Jetzt, da es keine karöttchenfreien Abende mehr gab, noch nicht einmal karöttchenfreie Stunden, fühlte ich, wie meine orangerote Aura immer wütender zu glühen begann. Julia und das Karöttchen beteiligten sich an der staubigen Ausgrabungsarbeit innerhalb der Planquadrate nur sporadisch, gingen lieber am See spazieren, fanden die Natur unglaublich idyllisch und verliebten sich in jeden Grashalm. Die Umstände unserer ersten Besichtigungstouren waren, im Vergleich zu dem Spaziergang mit Mirko, traumhaft. Keine Gülle, keine Mücken, ein friedlicher See mit Surfern. Es tat der Schönheit des Sees keinen Abbruch, dass diese Surfer Sachsen waren und dass Üwe im Neoprenanzug auf einem Surfbrett ein Fest für jeden Scherenschnittkünstler gewesen wäre. Quirin mit seiner Angeberschwimmbrille rauschte allen voran und protzte mit dem funkelnden See um die Wette. Auch die Kühe, diesmal ohne kuschelnde Menschen, rülpsten in aller Idylle ihre klimakillenden Gase in die Atmosphäre, vor der Kneipe am Feuerwehrhaus kehrte Anderl, grüßte uns mit einem grunzenden Urlaut, bestaunte kurz das baumelnde Zöpfchen des Karöttchens, scannte Julia und mich in einem Aufwasch und widmete sich geruhsam und an diesem Tag sogar vor sich hin summend wieder seiner Tätigkeit. Franzi saß an ihrer Kasse und beriet das Karöttchen liebenswürdig.
    »A Sojawurst? Nimm lieber a Weißwurscht. Ach … gar koa Fleisch? Auch koa Wurscht? Noch ned amoi a Hendl?« Darauf überlegte sie eine Weile. Sie hatte wieder ihr Shirt mit den Biergläsern an, und das Karöttchen starrte auf die Schaumkronen. Vielleicht auch nur auf die Aura der Schaumkronen. Die Franzi ihm lächelnd und siegesgewiss entgegenreckte. Wie es aussah, war sie zu einem Ergebnis gekommen: »Aber an Fisch isst scho, gä?«
    Draußen waren sich Julia und das Karöttchen sofort einig, dass Franzi wie so viele zwar ein Opfer ihrer grauenvollen Ernährung, aber trotzdem eine reizende Person sei. Übrigens mit einer grünen Aura, wie das Karöttchen erstaunt anfügte. Vollkommen ungewöhnlich bei Menschen, die Totes aßen. Ich verkniff mir die Frage, ob er sicher sei, dass ihre Aura nicht doch weißblau sei, und schwor mir grimmig, meine Männer-Excel-Tabelle nicht seinetwegen um die Kategorie Auraseher zu erweitern.
    Außer mir schienen alle das Karöttchen zu mögen. Therese gab ihm und Julia bereitwillig ihr Rezept für ihren Apfeldatschi und lud sie zum Kuhkuscheln ein. Selbst Picco gab sich Mühe. Bei der Ankunft hatte er sich mit einem Pfiff und einem barsch vorgetragenen »Zieh d’ Latschn aus, wannsd reinkimmst« begnügt, was, wie ich inzwischen wusste, der freundliche Gruß war. Für Konkurrenten, die er ernster nahm, hatte er ein »Schau dass d’ Land gwinnst, Hundskrüppe, gschtinkata« und Schlimmeres reserviert.
    Warum das arme Tier im Käfig eingeschlossen sei? Natürlich musste das Karöttchen solch eine Frage stellen. In anklagendem Ton. Und natürlich nahm Picco sofort seinen Vorteil wahr, pfiff melodisch, legte den Kopf schief, eine Kralle von der Stange gehoben, die Parodie eines armen, dressierten Zirkusvogels. Es sei der Tierarzt gewesen, erklärte ich, der ihm Isolation verordnet habe, wegen einer unglücklichen romantischen Raserei. Was das Karöttchen mit einem ungläubigen Blick und der Bemerkung, einen Papagei allein zu halten sei sowieso Tierquälerei, aufnahm. Am nächsten Tag erwischte ich das Karöttchen dabei, wie es zwischen dem Spielzeug im Wohnzimmer etwas suchte. Ob der Tierarzt denn ausdrücklich ein Vorhängeschloss verordnet habe? Nach dem kleinen Schlüssel in meiner Hosentasche tastend, bejahte ich. Immerhin war es keine wirkliche Lüge, Quirin hatte nach einem Stück Draht verlangt. Darauf weiteten sich die Augen des Karöttchens, schöne braune Augen, fast hatten sie auch etwas von einem Tier. Er habe immer gewusst, dass Tierärzte Barbaren seien, besonders auf dem Land. Was ich nur bestätigen konnte. Unsensibel, besserwisserisch und arrogant.
    Von diesem Gespräch an verbrachte das Karöttchen viel Zeit in angeregter Unterhaltung mit dem armen Gefangenen. Er reichte ihm frisches Bio-Obst durch die Stäbe, wofür sich Picco mit einem sanften »Halt die Goschn!« bedankte, nach der zweiten Fütterung von Kiwi an einem Dreierlei von frisch gepflückten Waldbeeren sogar, ohne zu hacken. Dafür hackte

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