Eiertanz: Roman (German Edition)
Überall standen Glaskästen, auf jeder freien Fläche, jedem Regalbrett. Er machte kein Licht, nur die Strahler über den Glaskästen leuchteten.
»Sie sind Nachttiere, wie wir«, flüsterte er, seine Hände nestelten schon am Verschluss meines BHs. Wir standen vor einem dieser Glaskästen, aber ich sah keine Tiere, nur Bambusstöcke und Pflanzen in einem beinahe unheimlichen, grünlichen Licht.
»Es sind Zwerggeckos. Blaue Zwerggeckos. Wenn sie sich paaren, trillern sie. So: Trrrrriiiii, trrrriii, triiii.« Schon war es weniger urgent, zumindest bei mir. Während es bei ihm gerade umgekehrt zu sein schien. Auf seinen Boxershorts tummelten sich kleine Croissants, dazu, ich sah es im Licht der Strahler, wurde in mehreren Sprachen ein guter Morgen gewünscht. Gerade, als ich überlegte, wie ich am besten aus dieser Situation herauskäme, trillerte es tatsächlich, aus mehreren Kästen gleichzeitig: triii triii triii! Dazu Schnalzlaute. Die mein Dozent verzückt erwiderte. Davon anscheinend endgültig in Fahrt gebracht, warf er mich auf ein Bettsofa, sprang ungestüm über mich, während es um uns herum schnalzte und trillerte, anscheinend schien es bei den Geckos genauso urgent zu sein wie bei uns, vielmehr bei ihm, noch in Shorts arbeitete er sich an mir ab, schnaufend und so ungestüm, dass das Bettsofa ins Quietschen und Wackeln geriet, während ich darüber nachdachte, dass ich bisher gut gelebt hatte, ohne zu wissen, ob Zwerggeckos bei der Paarung trillerten, schnalzten oder God save the Queen sangen.
Wie es passiert war, konnte ich nachher nicht mehr rekonstruieren: Vielleicht war sein Tritt gegen das wacklige Regal hinter dem Sofa zu heftig, vielleicht waren die trillernden Zwerggeckos im Glaskasten auch selbst schuld. Ich sah das, was uns entgegensegelte, wie in Zeitlupe, bevor es über uns kam: ein dürrer Baumstamm, Korkstücke und etwas, das blitzschnell davonhuschte, zwischen den Ritzen des Sofas verschwand. Plötzlich war es urgent, an die frische Luft zu kommen, jedenfalls für mich.
Ich hatte ihm die Suche nach seinen kostbaren Zwerggeckos überlassen, und die Note meiner nächsten Klausur in Verfassungsrecht gab den Ausschlag, mein Studium abzubrechen und meine intellektuellen und praktischen Fähigkeiten ausschließlich der Lachschmiede zu widmen.
Ich blätterte die Seite im Blumenalbum um, starrte auf gepresste Rosenblätter, ohne etwas wahrzunehmen. Vielleicht war Mirko einfach zartfühlend, wollte uns all diese Peinlichkeiten ersparen? Eigentlich hatte ich allen Grund, ihm dankbar zu sein. Wenn man es so betrachtete … Ich legte das Blumenbuch beiseite, stürmte die Treppe hinunter, um Julia von meiner neuen Erkenntnis zu berichten. Egal, ob das Karöttchen zuhörte.
Sanft hin- und herschaukelnd, den Kopf an die schmächtige Karöttchenbrust geschmiegt, lauschte Julia geduldig, als ich ihr zum ungefähr zehnten Mal von der Margerite, dem gescheiterten Kussversuch und Mirkos romantischem Wangenkuss erzählte. Ob sie nicht auch meine, dass unsere Liebe vielleicht eine Art spirituelle Liebe sei?
»Süße, du kannst den Sex erst transzendieren, wenn du ihn hattest, verstehst du.« In ihrem Lächeln lag eine Spur Mitleid.
»Gerade Leute mit einer orangeroten Aura sollten nicht versuchen, die Ebene ihres Wurzelchakras zu überspringen«, steuerte das Karöttchen bei. »Sex ist eine wichtige Stufe auf dem Weg zum Nirwana.«
Ich wusste zwar nicht, was Wurzelchakra bedeutete, aber ich hatte immerhin gelernt, dass das Nirwana die höchste Stufe der spirituellen Erleuchtung war und nicht, wie es sich anhörte, ein öder Ort in Lappland. Julia richtete sich auf und sah mich ernst an.
»Süße, warum fragst du ihn nicht einfach mal ganz direkt, was er eigentlich von dir will?«
»Und was hab ich davon?«
»Die Wahrheit. Pragit hat mir ganz zu Anfang ehrlich gesagt, dass er mit mir das unterste Chakra erforschen will.«
»Aber dann ist die Kundalini aufgestiegen, und auch das Herzchakra hat sich geöffnet«, ergänzte das Karöttchen träumerisch.
»Kundalini? Sind das die Nudeln, die du morgen kochst?«
»Ach, Gina, mach’s doch einfach.« Julia lächelte, schmiegte sich wieder an das Karöttchen. Und Picco ließ es sich nicht nehmen, auch noch seinen Senf dazuzugeben:
»Picco liab. Siehst du die Rute, Picco? Du bist so guuut!«
Ich drehte mich um, ging zurück zu Planquadrat C2, setzte die Ohrstöpsel wieder ein. Was oder wer immer mich quälte, er hatte noch nicht genug. Ich hatte den
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