Eifel-Bullen: Kriminalroman aus der Eifel (German Edition)
vielleicht den sterbenden Schwan tanzen?«, fragte ich sauer. Es war vier Uhr.
Tessa saß mit tränenüberströmtem Gesicht vor dem Computer und flüsterte erstickt: »Ich hatte noch nie so ein dickes Ding im Programm. Ich schaffe das nicht.«
»Das haben wir gleich«, sagte ich. Ich lief auf den Dachboden, auf dem mein Verteilerkasten aufgehängt ist, und legte die Hauptsicherung um.
Sie schrie natürlich sofort grell und entsetzt: »Wir haben kein Licht mehr!«
Ich sagte dann auf der Treppe: »Wenn du vorsichtig nach rechts greifst, ungefähr fünfzig Zentimeter, dann kriegst du einen kleinen Leuchter mit einer Kerze zu fassen. Daneben liegen Streichhölzer. Dann machst du die Kerze an, und dann hast du Ruhe vor dir selbst.«
Es dauerte ziemlich lange, bis die Kerze brannte. Aber dann moserte sie laut weiter und behauptete, sie brauche nur noch einen Absatz zu schreiben, um endgültig fertig zu sein. »Nur noch zehn Minuten, Baumeister!« flehte sie.
Ich ließ mich nicht erweichen.
Aber weitere zehn Minuten später grinste sie auch schon wieder, und schließlich lachte sie. Irgendwann kam sie zu dem Urteil: »Ich bin eine Verrückte!«
»Du kannst noch vier Stunden schlafen«, stellte ich fest. »Und genau das tust du jetzt!«
Sie torkelte durch meine häusliche Nacht, murrte vor sich hin, und irgendwann entdeckte ich sie samt Bettzeug auf dem Sofa im Wohnzimmer. Sie schlief schon, und neben ihr brannte ruhig die Kerze.
Ich selbst trug eine Verwundung davon, denn ich schlug in der babylonischen Dunkelheit mit dem rechten Fußknöchel gegen irgendetwas. Es schmerzte ziemlich intensiv, und der Knöchel schwoll an.
Wir fuhren gegen halb zehn. Und wir fuhren langsam, weil wir der Auffassung waren, der liebe Gott gestehe uns eine Pause zu, und die Trauerfeier gebe uns das Recht, einmal tief durchzuatmen und langsam zu sein. Wie sich wenig später herausstellte, war das ein Irrtum.
Das Wetter spielte mit, der Frühherbst an diesem Tag war sonnig. Wie zu erwarten, konnte niemand den hohen Dom betreten, ohne von den Kameras der Fernsehsender gefilmt zu werden, ohne fotografiert zu werden, ohne notiert zu werden. Die Trauer war unbedingt live zu dokumentieren.
Die beiden großen Särge standen ein wenig erhöht, umgeben von hohen, brennenden Kerzenleuchtern, in ein Meer weißer Lilien getaucht. Auf beiden Särgen lagen große Gebinde weißer Rosen. Sie hatten zusammen gelebt und gehofft, und dann waren ihre Leben abgeschnitten worden, als hätten sie sich versündigt, als hätten ihre Ziele kein Gehör gefunden, bei wem auch immer. Vielleicht war alles viel banaler, vielleicht hatten sie in ihrem Eifer einfach nur ein paar Fehler gemacht, die tödlich waren.
Sie hatten vor dem großen Hauptaltar zwei Gruppen Stühle aufgestellt, sodass ich von dort aus die wirklich wichtigen Leute in den ersten Reihen gut beobachten konnte.
Da kam Timo Walbusch mit seinem Vater. Die Mutter fehlte, sie war wahrscheinlich außerstande, sich diesem Gewitter an Öffentlichkeit zu stellen. Der Vater war ein kleiner, beeindruckender Mann mit einem Gesicht voll harter Linien und ganz ruhigen, ein wenig verschleierten Augen. Als er mich sah, kletterte er aus seiner Reihe heraus und kam zu mir.
»Das ist sehr schön, Herr Baumeister, dass Sie hier sind. Meine Frau musste zu Hause bleiben, sie ist leider wirklich krank, und ich hoffe, sie wird wieder. In unserem Alter kann so ein Ereignis das Ende bedeuten. Nun liegt unser Junge da.«
»Was war er denn für ein Polizist?«, fragte ich.
Er lächelte, als habe er eine solche Frage erwartet.
»Er war wohl mit Leib und Seele Polizist. Er wollte, dass die Welt friedlich ist, dass die Menschen ein gutes Leben haben. Und wenn das nicht so aussah, wenn es Trübsal regnete, dann war er bei ihnen und achtete darauf, dass sie wieder zur Ruhe kamen. Hat man Ihnen die Sache mit dem Freitod berichtet? Es war so, dass ein Mann eine unheilbare Krankheit hatte, so etwas Trostloses. Und er saß an seinem Schreibtisch und erschoss sich mit einer Waffe. Horst war der Erste, der dort eintraf. Er sah sich den Toten genau an, damit alles seine Richtigkeit hatte. Dann kümmerte er sich um die Ehefrau und die Familie. Er verbreitete Ruhe, wenn man das so sagen kann. Dann erschien die Todesanzeige in der Zeitung und da stand:
Wir bedanken uns ganz herzlich bei dem Polizeibeamten Horst Walbusch für seine liebevolle Fürsorge
. Wissen Sie, er war einfach so. Er sagte mir ein paar Mal: ›Vater, es gibt genug
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