Eifel-Feuer
trägt. Tja, er ist also dem Mörder über den Weg gelaufen.«
»Und Carlo?«
»Das gleiche, vermute ich.« Sie wirkte sehr erschöpft, aber ganz kühl.
»Was ist mit diesem Munitionsdepot?« fragte ich.
»Wir laufen hier über heiligen militärischen Grund«, erklärte sie leichthin. »Während des Zweiten Weltkrieges war auf der Hohen Acht die deutsche Luftwaffe stationiert, die hier Funkeinrichtungen laufen ließ. Hier wurden übrigens auch die Karnickel gezüchtet, aus deren Fell man das Futter der ledernen Bomberjacken der Piloten machte. Nach dem Weltkrieg kam die Bundeswehr und machte aus der Einrichtung ein Munitionsdepot. In den sechziger Jahren gab man das auf. Rund dreißig Gebäude auf einem Riesengelände mitten im Wald. Irgendwie wirkt das pervers. Jedenfalls hat Carlo dort gelebt.«
»War er so etwas wie ein Ausgestoßener?«
»Eigentlich nicht. Er wollte so leben. Uns ist er nur aufgefallen, weil Godesberg eine junge Frau als vermißt meldete. Ein Kneipier hatte angegeben, seine Bedienung sei spurlos verschwunden. Also guckten wir rein routinemäßig im Depot nach, und da stand die Verschwundene splitterfasernackt vor Carlo und ließ sich malen. Sie wartete übrigens darauf, daß Carlo sie lieben würde. Aber Carlo wollte nicht, er wollte sie nur malen. Die Frau ist übrigens Nutte, eine berufsmäßige. Hübsch ist sie, und Carlo konnte phantastisch malen.«
»Und im Winter?«
»Auch im Winter lebte er hier, unterhielt ein Feuer und machte sich einen schönen Lenz.«
»War er klug, konnte man sich mit ihm unterhalten?«
»Oh ja. Und er haßte seine Eltern. Wir haben überlegt, ob wir ihn verscheuchen sollten, aber er war so friedlich, daß man nicht auf die Idee kam, er habe etwas mit Gewalt zu tun. Das war wohl unser Fehler. Scheiße, so ein Mist!«
Den Rest des Weges schwiegen wir, und Paul schnürte dicht neben uns her und sah mich von Zeit zu Zeit an, als warte er auf etwas Besonderes.
»Eine Frage noch«, sagte ich, als ich neben meinem Auto stand. »Wie lange lebte Carlo schon hier?«
»Zwei Jahre.« Die Polizistin nahm das Mikro aus dem Wagen. »Buchfink sechs hier.« Sie verzichtete auf jeden Code. »Alle verfügbaren Leute zum Haus des Generals. Ich habe zwei weitere Leichen gefunden, den alten Mattes und Carlo. Es wird Arbeit und Streß geben, Leute. Sicherheitshalber sollten wir gleich zwei Busse Bereitschaftspolizei anfordern. Das Gelände hier muß weiträumig durchkämmt und abgesperrt werden. Jemand muß Bonn informieren. Wie gehabt.«
Sie zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich an den Streifenwagen und schloß die Augen. Sie sagte: »Ich muß aber erwähnen, daß Sie hier waren. Das kann ich nicht verschweigen.«
»Ist recht. Machen Sie es gut.«
»Was soll ich gut machen? Zwei Leichen?« Sie lächelte matt und hob die Hand zum Gruß, als ich wegfuhr.
Ich hatte alle Fenster und das Glasdach geöffnet, es war unerträglich heiß geworden, nicht die Spur von frischer Luft. Ich fuhr nach Hillesheim, um im Teller bei Andrea und Ben erst einen Kaffee zu trinken, dann zu essen. Ich mußte irgend etwas tun, brauchte Menschen um mich, um die Bilder in meinem Kopf zu verscheuchen. Und außer einer bekannten Tatsache gab es keinerlei Begründung für die drei Leichen. Daß der General ein Querdenker war, konnte nicht der alleinige Grund für die Morde sein. Dann dachte ich: Warum denn nicht? Vielleicht hatte jemand panische Angst vor seiner Querdenkerei. Doch ich fand diesen Gedanken zu simpel, viel zu simpel.
»Hast du von dem General gehört, der sich selbst mit seiner Jagdflinte umgelegt hat?« Ben stand am Computer und tippte etwas ein.
»Habe ich. Wer hat es gemeldet?«
»Radio RPR, aber im Trierischen Volksfreund steht es auch. Man sollte doch meinen, daß ein General, der Jäger ist, mit einem Gewehr umgehen kann. Könnte es Selbstmord gewesen sein?«
»Vielleicht war es Selbstmord«, nickte ich.
»Dann werden wir es nie erfahren«, murmelte er und tippte weiter.
Andrea kam mit den drei Kindern herein und sagte: »Hallo.« Sie lächelte. »Wir wollen alle ein Rieseneis.«
»Kriegt ihr«, versprach Ben.
Ich aß lustlos, wenngleich es wie immer sehr gut schmeckte. Dann ließ ich mir das Telefon geben und rief die Redaktion in Hamburg an. Ich wollte Sibelius, der den feinsten Riecher für Geschichten hat und der an diesem Tag auch sofort erreichbar war.
»Wo sind Sie?« fragte er schnell und laut.
»Ich bin im Teller, einer Edelfreßkneipe. Warum?«
»Wir
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