Eifel-Feuer
verschwiegen, viel Moos, viel Farn.
Da war das Motorrad, eine jener alten BMWs, die ich so mag, weil sie an Reisen auf schmalen baumbestandenen Alleen erinnern. Sie lehnte an einem Birkenstamm, das Hinterrad wies in meine Richtung, und dicht daneben blühte blaßviolett eine wilde Malve.
Paul spielte wohl an diesem Tag ein wenig Pippi Langstrumpf als Sachensucher. Er kam erneut von der Seite und drehte sich buchstäblich in meine Beine. Seine grünen Augen schillerten. Es ging an der Maschine vorbei ungefähr zwanzig Meter weiter hinter eine Barriere aus blühendem Ginster.
Er lag auf dem Rücken wie der alte Mann. Er war sehr jung, höchstens zwanzig Jahre alt. Er hatte den Versuch gemacht, sich einen Bart wachsen zu lassen, aber es war nur dunkler Flaum geworden. Es hatte ihn über dem rechten Auge erwischt. Auf der Wunde saßen dicke, grünschillernde Fliegen, die ich verscheuchte und die sofort wieder anflogen. Der Junge trug schwarz-weiße adidas zu Jeans, sein T-Shirt war dunkelblau, und auf der Brust stand in grellem Weiß Be happy.
Ich sagte nichts, weil es nichts zu sagen gab. Ich machte zehn Schritte rückwärts und setzte mich ins Gras. Sofort näherte sich Paul, kletterte auf meinen Schoß und begann zu schnurren.
Rechts von mir taumelte ein Kohlweißling, und ein Tagpfauenauge kam hinzu und ließ sich auf einer Malve nieder. Die trockenen Halme in dem Gras unter mir knisterten.
Mir erschien es wie eine Ewigkeit, bis Heike Schmitz von irgendwoher »Hallo, Baumeister!« schrie.
Ich antwortete, und sie lief langsam heran und sagte erstickt beim Anblick der zweiten Leiche: »Carlo! Wieso Carlo?«
»Wer ist denn der alte Mann?« fragte ich.
»Die Kollegen haben mich informiert. Der alte Mann kann nur der Küster Mattes aus Kaltenborn sein. Er wurde seit gestern morgen vermißt, aber an der richtigen Stelle gefunden. Er war entweder auf dem Weg zum General, oder er kam vom General. Aber Carlo? Ehrlich gestanden verwirrt mich das.«
»Wer ist denn Carlo?«
»Tja, die Antwort ist schwierig. Carlo lebte in den Wäldern hier, genauer gesagt, in einem alten aufgelassenen Munitionsdepot der Bundeswehr, schlicht Hochacht genannt.«
Zuweilen, so denke ich in jedem Sommer, wäre es gut, irgendwo in der Eifel ein Zelt aufzuschlagen und zwei, drei Monate draußen zu leben. Aber ich tue das nie, wahrscheinlich bin ich verwöhnt und möchte auf mein warmes Wasser nicht verzichten. Dieser Junge hatte also in den Wäldern gelebt.
»Hat er keine Eltern?«
»Doch«, murmelte die Beamtin. »Sogar sehr wohlhabende. Der Vater ist ein Rechtsaußen, Metzgermeister in Godesberg. Carlo heißt natürlich Karl. Soweit wir wissen, nicht vorbestraft. Irgendwie ein Rächer der Enterbten, völlig abgedreht.«
»Kannte er den General?«
»Es ist eigentlich unmöglich, daß sie sich nicht kannten. Denn der General fuhr in seinem kleinen Jeep rum und Carlo mit der BMW. Und vom Haus des Generals bis zum Munitionsdepot sind es nicht mehr als tausend Meter. Sie sollten jetzt aber wirklich verschwinden. Eine zweite Leiche ginge ja noch, aber Leiche Nummer zwei und drei ist etwas zuviel. Die Heiligen Arroganzen werden erneut aus Bonn einfallen, erneut alle Spuren ausradieren und sich nicht einmal die Mühe machen, zehn Meter weiter nachzugucken, ob dort vielleicht Leiche Nummer vier liegt. Sie sollten wirklich verschwinden, denn Sie haben doch Recherchierverbot.«
»Ich brauche noch Informationen«, sagte ich.
»Die gebe ich Ihnen. Lassen Sie uns gehen.«
Wir machten uns also auf den Weg zu den Autos am Haus des Generals, und wir gingen langsam, denn Heike Schmitz hatte noch eine Menge zu erzählen.
»Der alte Mattes war Küster. Sagte ich das schon? Er ist so ein alter Mann ohne Familie. Kind einer Magd, die niemals heiratete. Mattes wurde vom Dorf mitgezogen, lebte mal hier, mal da auf einem Hof, bekam sein Essen und schuftete viel. Er war ein sehr williger Arbeiter und ausgesprochen gutmütig. Irgendwann wurde er Küster, arbeitete aber zusätzlich immer voll auf einem Hof mit Milchviehhaltung. Er ist seit gestern morgen abgängig. Gestern war Mittwoch. Mittwoch ist der Tag, an dem er den General besucht, wenn der hier in der Eifel ist. Er macht sich fein und kommt über den Berg zum Jagdhaus. Er redet mit dem General und kriegt einen Zettel, was er alles einkaufen soll. Nahrungsmittel und so, Bier, Wein, Wasser. Er kriegt immer eine feine Zigarre, die er niemals raucht, sondern in der Brusttasche seines Jacketts nach Hause
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