Eifel-Kreuz
mir ist das Ganze ein Rätsel.«
Eine Viertelstunde später saà ich in meinem Auto und fuhr
nach Stadtkyll.
Das Haus hatte ein Walmdach und wirkte riesig, wahrscheinlich
wohnte die Familie auch hier. Vor dem Eingang links und rechts blühten üppig
rote Rhododendren, in die doppelflügelige Eingangstür waren Butzenscheiben eingelassen.
Ich bereitete mich auf eine massiv eichene Wohnzimmerwand vor.
Doch das Wohnzimmer erreichte ich gar nicht, Dillinger
empfing mich in seinem Büro, einem soliden Gemisch aus Glas und Stahl.
Fachliteratur füllte eine ganze Wand, der Schreibtisch war groà wie eine
Tischtennisplatte. Dillinger war schlank und trug einen eleganten dunkelgrauen
Anzug mit einer schwarzen Krawatte, er hatte ein asketisches Gesicht und wirkte
beherrscht und kühl.
»Setzen Sie sich, bitte«, sagte er und wies auf einen
Stuhl. »Was wollen Sie wissen?«
»Ich hörte, dass Sven seit Sonntagmorgen nicht mehr in
diesem Haus war. War das dann auch das letzte Mal, dass Sie und Ihre Frau mit
Ihrem Sohn gesprochen haben?«
»Noch nicht mal das. Ich habe ihn an dem Sonntag gar
nicht gesehen. Meine Frau hat kurz mit ihm geredet, bevor er ging. Er sagte, er
wolle zu einem seiner Freunde. Zu wem hat er nicht gesagt. Aber ich bin davon
ausgegangen, dass er zusammen mit einem Kameraden lernen wollte.«
»Und es war normal, dass er tagelang nicht zu Hause auftauchte?«
»Ja. Wir hatten nur die Vereinbarung, dass er anrufen sollte,
wenn er ein Problem hatte.« Er machte eine Pause. »Sie können einen
Achtzehnjährigen heutzutage nicht anbinden.«
»War er ein guter Schüler?«
»War er, war er. Die Sachen fielen ihm zu, er brauchte
nicht zu büffeln. Sven war der Typ, der eine Sache einmal liest und dann für
ewig draufhat. Mich hat das immer wieder erstaunt. Ich selbst habe das nie
gekonnt.«
»Aber er ist auch schon mal angeeckt, nicht wahr?«
»Ja, das stimmt. Er hatte etwas Rebellisches an sich.« Dillinger
stockte, er drehte den Kopf weg und starrte in seinen Vorgarten.
Ich sagte leise: »Es tut mir leid.«
»Danke«, erwiderte er etwas zittrig. »Manchmal war es
nicht ganz einfach. Sven hatte zum Beispiel mal Schwierigkeiten mit dem Lehrer
in Altgriechisch. Der junge Mann hat sich oft im Ton vergriffen. Irgendwann war
bei Sven Schluss. Ich musste zur Schule und habe begütigend mit dem Lehrer
geredet. Kaum war ich wieder zu Hause, bekam ich einen Anruf, dass Sven dem
Lehrer während der Griechischstunde einen zynischen Vortrag über Höflichkeit
gehalten hat.« Er lächelte. »So war er.«
»Ich nehme an, es war Pater Rufus, der Sie angerufen
hat?«
»Ja, klar, Pater Rufus. Wir sind befreundet.«
»Es wird behauptet, dass Sie die Schule finanziell unterstützen.
Ist das wahr?«
»Das stimmt. Wir wollen, dass unsere Kinder die bestmögliche
Ausbildung kriegen. Dafür muss man etwas tun.«
»Verraten Sie mir, wie hoch Ihre Zuwendungen sind?«
»Dazu möchte ich nichts sagen.«
Ich überlegte meine nächste Frage. »Nun ist ja diese Gabriele
Sikorski aufgetaucht. Sie sagten, Sie hätten diese Frau nie kennengelernt.
Bleibt es dabei?«
»Aber ja. Meine Frau und ich wissen nichts von einer
Gabriele. Wir glauben auch nicht, dass Sven mit ihr befreundet gewesen ist, wir
hätten den Namen zumindest mal gehört.«
»Da kann ich Sie eines Besseren belehren. Die beiden sind
am Sonntag vor einer Woche in dem roten Porsche der Frau Sikorski in Guben,
nahe der polnischen Grenze, geblitzt worden.«
Dillinger hob erstaunt die Augenbrauen, sagte aber
nichts.
»Haben Sie eigentlich mal etwas mit dem Haus St. Adelgund
in Hersdorf zu tun gehabt?«
»Nein, nicht das Geringste. Ich hörte zum ersten Mal von
der Existenz dieses Hauses, als man mir mitteilte, dass mein Sohn dort gefunden
wurde.«
Die Art des Mannes, diese vorgebliche Offenheit und Abgeklärtheit
bei gleichzeitiger kompletter Ahnungslosigkeit, provozierte mich. »Ich habe
eine letzte Frage: Wissen Sie irgendetwas vom Leben Ihres Sohnes?«
Er musterte mich, stand auf und sagte scharf: »So einen
unhöflichen Scheià muss ich nicht beantworten, Herr Baumeister. Da ist die
Tür.«
Ich ging. Dieser Typ hatte seinen Sohn nicht gekannt. Und
sich auch nicht für ihn interessiert. Das war offensichtlich.
Ich rief Rodenstock an und gestand, dass ich des
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