Eifel-Müll
habe er soeben etwas begriffen, Zusammenhänge erkannt. Er wiederholte betroffen: »Erpressung. Wie soll das zusammenhängen? Einer von uns wird erpresst. Und dann geht der Erpresste hin und ...«
»Tötet Natalie«, ergänzte Rodenstock sachlich. Er räusperte sich theatralisch. Ich wusste genau, was das hieß. Er wollte das Thema wechseln, wollte die Unsicherheit, die Emma gesät hatte, langsam wachsen lassen. Er wollte das Misstrauen in Hardbeck schüren und gleichzeitig sollte Hardbeck glauben, das Thema sei vom Tisch.
Also gab Rodenstock dem Gespräch eine neue Wendung: »Dieses alte Forsthaus hat bei den Leuten hier als Fixpunkt von Gerüchten eine gewaltige Rolle gespielt. Natalie hat die Gesellschaft bedient, hat der Männerrunde das Leben angenehm gemacht.« Er machte eine kurze Pause. »Wie angenehm, Herr Hardbeck? Ich will Ihnen gerne glauben, dass nichts ... nun, nichts Anstößiges zwischen Ihnen und Natalie vorgefallen ist, aber können wir sicher sein, dass das auch für die anderen Herren gilt? Sie war sehr schön, die Natalie, sie war sicher aufreizend, sie war jung, war fröhlich, nicht wahr?«
Hardbeck nickte betulich und sagte langsam: »Ja, ja.«
Rodenstock fuhr erbarmungslos fort: »Ein weiteres Gerücht besagt, dass Ihr Sohn Sven von Natalie regelrecht abhängig war, dass er fürchtete, sie zu verlieren, dass er sie deshalb tötete und dann nicht mehr die Kraft hatte, weiterzuleben.« Jetzt hatte Rodenstock es geschafft, das Thema so komplett zu wechseln, dass das schlimme Wort Erpressung vom Tisch war und das nächste heikle Thema in aller Breite auf der sauberen Tischplatte lag.
Hardbeck schluckte. »Du lieber Gott, Sven kann sich gar nicht mehr verteidigen. Und wir wissen doch nicht einmal, ob Sven und Natalie sich an dem Tag überhaupt gesehen haben. Warum hätte er sie töten sollen?«
»Das ist doch bis jetzt nur ein Gerücht«, erklärte Rodenstock. »Wie alles andere auch. Wir wissen ja nicht einmal, warum Natalie ausgerechnet auf diesem Müllhaufen lag. Wieso in Mannebach, wieso an diesem Waldrand? Das ist alles sehr beziehungslos.«
»Na ja, das finde ich ja nun nicht«, erwiderte Hardbeck in die Stille und seltsamerweise wirkte er plötzlich arrogant. »Das Gebiet in Mannebach ist meine Jagd. Seit zwanzig Jahren.«
»Das alles wird immer verrückter«, murmelte Emma.
»Das heißt also ... Nein, ich korrigiere mich.« Ich versuchte eine neue Formulierung. »Der Weg, der an dem Waldweg entlangführt, der ...«
»Der Weg läuft unten im Tal direkt auf meine Jagdhütte zu. Die Hütte ist nur fünfhundert Meter weit weg.«
»Kannten sich alle dort aus, die mit Ihnen zu tun haben?«, fragte Emma.
»Alle«, nickte Hardbeck. »Die Hütte wurde aber nur noch selten genutzt. Vor Jahren war da immer der Bär los. Die beiden Kinder waren noch öfter dort. Na ja, sie waren ein Liebespaar, sie nutzten die Einsamkeit. Jeder wusste das, warum auch nicht. Manchmal nahmen sie auch Huhu mit.«
»Bevor wir auf diesen Huhu kommen, habe ich noch eine andere Frage: Tina Colin hat mir gegenüber so getan, als würde sie den Ort Mannebach nicht kennen. Und ihre Tochter, Natalie, habe ihn auch nicht gekannt. Ist das nicht mehr als merkwürdig?«
Er wirkte erstaunt, das war nicht gespielt. »Verstehe ich nicht. Tina war eine Zeit lang ziemlich häufig in meiner Jagdhütte, Natalie dauernd. Wieso streitet sie das ab?«
»Keine Ahnung. Und nun: Wer, bitte, ist Huhu?«
»Wie soll ich das erklären? Mein Haus liegt an einer stillen Stichstraße. Ich habe das ganze Gelände gekauft, beiderseits der Straße. Dazu gehört ein alter, kleiner Bauernhof. Adele heißt die Bäuerin, der Mann ist längst tot. Von ihr habe ich den Hof samt Grund und Boden erworben. Wir haben einen Vertrag. Adele darf lebenslang auf dem Hof wohnen und wir sorgen nach ihrem Tod für Huhu. Ihr Sohn, das ist Huhu. Er ist geistig zurückgeblieben, immer wenn er etwas für ihn Erstaunliches hört, sagt er: ›Huhuhuhu!‹ Deshalb wird er Huhu genannt. Er ist genauso alt wie Sven. Die beiden waren schon als Kinder ein Herz und eine Seele. Sie lieben sich wie Brüder. Huhu ist oft bei mir im Haus. Er wäscht unsere Autos, kehrt den Hof, putzt die Fenster, er macht einfach alles und er macht es gern. Huhu gehört zu uns, er ist wie ein Familienmitglied. Im Moment hockt Huhu Tag und Nacht in der alten Scheune. Seit er von Svens Tod erfahren hat, hockt er dort und weint. Dabei müsste er eigentlich zum Arzt, er hat sich irgendwie die
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