Eifel-Müll
Füße wärmen.
»Lass ihn hier rein«, sagte ich.
Rodenstock öffnete die Tür und Cisco schoss herein und sprang auf mein Bein. Es schmerzte höllisch.
»Ich würde mich gern besaufen«, sagte Rodenstock.
»Tu es nicht«, riet ich.
»Ich kann endlich Dantes Inferno begreifen«, sagte er fast flüsternd. »Aber sie hält sich wirklich außerordentlich tapfer. Ich wäre nicht so«.
»Du wärst auch so«, widersprach ich. »Habt ihr irgendwelche Pläne, wenn die Diagnose Krebs lautet?«
»Natürlich. Erst haben wir gedacht: Wir reisen ganz weit weg. Und da sterben wir dann. Dann haben wir gedacht...«
»Moment mal, du sagst immer ›wir‹.«
»Sicher sage ich ›wir‹. Das alles hat doch keinen Zweck mehr für mich, wenn Emma gehen muss.«
»Das stimmt doch nicht«, hielt ich matt dagegen. »Du wirst noch gebraucht. Ich, zum Beispiel, brauche dich.«
»Ach ja?«, fragte er ganz verwundert.
»Natürlich!«, sagte ich wütend. »Krebs ist eine furchtbare Krankheit, aber nimm dir mal ein Beispiel an anderen. Zum Beispiel an Kati und Klaus hier aus dem Dorf. Kati war sehr mutig und tapfer und hat gekämpft, als hätte sie niemals etwas anderes getan. Doch sie ist gestorben. Aber weil die Welt weiter atmet, macht Klaus sein Restaurant weiter und neben ihm steht seine Tochter. Nichts ist so endgültig, dass nicht irgendjemand sagt: Lass uns weitermachen!«
»Was ist, wenn ich keinen Mut mehr habe?«
»Du wirst immer Mut haben, Rodenstock. Und immer Menschen, die dich mögen.«
»Das sagst du so.«
»Richtig, das sage ich so.«
»Es ist so bedrückend, wenn dir scheißegal ist, ob die Sonne scheint oder nicht. Es ist ziemlich schlimm, wenn Gelächter dich plötzlich anwidert, wenn du weißt, du wirst nicht schlafen können und auf ihren Atem hören. Und wenn du auf den Tag zu warten hast, an dem dieser Atem stirbt. Das ist furchtbar.«
»Das ist Liebe«, sagte ich, weil mir nichts anderes einfiel.
»Das ist es wohl«, nickte er. »Zuweilen ist sie schrecklich und liegt wie ein Alb auf dir. Was grübelst du denn so, wenn du nicht an Emma denkst?«
»Nebensächlichkeiten«, gab ich zu. »Und dass ich nicht weiß, was nebensächlich ist.«
»Schalte das aus. Geh hin, schau es an und schalte das aus. Auf eine Nebensächlichkeit würde ich dich gerne aufmerksam machen.«
»Ich kann es mir denken. Auf diese hohe heisere Stimme namens Martin und auf diesen Mann namens Monte Christo.«
»Das sind mögliche Nebensächlichkeiten«, stimmte Rodenstock zu. »Aber die habe ich nicht gemeint. Ich habe versucht, mich in diesen Sven zu versetzen, nachzufühlen, wie ich damals gefühlt habe, als ich neunzehn war. Er muss seit Jahren hin- und hergerissen gelebt haben. Fasziniert von Natalie und gleichzeitig abgestoßen, beleidigt. Gedemütigt und gleichzeitig umworben.«
»Ja, das kann ich begreifen. Aber das ist doch keine Nebensächlichkeit. «
»Nein, nein, aber da hängt eine dran! Erinnerst du dich an die Erzählung des Vaters Hardbeck? Er sagte, da gebe es diesen Huhu. Wahrscheinlich ist dieser Huhu auch eine Nebensächlichkeit, die uns aber weiterbringt. Geh ihn ansehen, rede mit ihm, wenn das möglich ist. Irre sind gute Seher, Irre waren schon immer gute Propheten.«
»Ja. Das ist eine Idee.«
Rodenstock ging wieder zu seiner Gefährtin.
Bevor ich erneut in Melancholie ertrinken konnte, griff ich zum Telefon und rief bei Hardbeck an.
Eine Frauenstimme meldete sich: »Ja, bitte?«
»Frau Hardbeck? Ist Ihr Mann im Haus? Baumeister hier.«
»Moment«, sagte sie.
Dann war er dran. »Ja, Herr Baumeister. Weiß man schon mehr?«
»Ich glaube nein. Sagen Sie, ist es inzwischen möglich, mit diesem Huhu zu reden?«
»Das kann ich nicht beantworten. Er sitzt immer noch in der Scheune und lässt keinen an sich ran. Man kann nie vorhersagen, was er tun wird und was er nicht tun wird. Er lebt in seiner eigenen Welt. Glauben Sie, er weiß was?«
»Keine Ahnung, das müsste man herausfinden.«
»Mit mir spricht er nicht, mit meiner Frau auch nicht. Er glaubt wohl, wir seien an all dem schuld.«
»Er ist sehr einsam, nicht wahr?«
»Ja, das ist er. Aber wir finden nicht... die Tür zu ihm.«
»Welche Rolle spielen eigentlich Ladi und der Graf von Monte Christo?«
»Ladi ist ein Pole. LKW-Fahrer. Ich habe beruflich nichts mit ihm zu tun. Er ist ein guter Typ, fährt für Giessen und Becker. Manchmal war er da, in der Jagdhütte oder bei Tina Colin. Er ist ein fröhlicher Mann. Der Graf ist ein Arschloch,
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