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Eifel-Müll

Eifel-Müll

Titel: Eifel-Müll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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lautlos in den Scharnieren. Ich schaltete die Taschenlampe ein und richtete das Licht von seitwärts auf mein Gesicht.
    »Huhu«, sagte ich, »ich suche nach dir. Ich bin Siggi, ich bin ein Freund, ich will mit dir über Sven reden.«
    Es kam keine Antwort.
    Ziemlich verloren stand ich in der Dunkelheit. Der Geruch, der alten Scheunen anhaftet – Heu, Stroh, Vieh, Grassamen, Staub aus Jahrhunderten –, stieg in meine Nase. Es roch vertraut, es erinnerte mich an meine Kindheit, als ich im alten Hof meiner Großmutter in Kottenheim bei Mayen auf dem leer geräumten Dachboden schlafen durfte, ein Paradies, in dem man niemals Furcht bekam.
    »Huhu, ich bin Siggi. Ich muss mir dir sprechen.« Wahrscheinlich war es besser, wenn ich saß, unten auf dem Boden saß. Also setzte ich mich und ließ das Licht der Taschenlampe weiter auf mir ruhen.
    Immer noch war kein Laut zu hören.
    Nach ein paar Minuten war die Dunkelheit um mich herum erträglicher. Ich erkannte zumindest grobe Umrisse, Formen. Rechts von mir, drei Meter entfernt, stand ein alter Trecker. Daneben der längliche Metallbehälter einer alten Sämaschine, die schon vor dreißig Jahren eine Antiquität gewesen sein musste, sowie alte Pflüge, Eggen. Über mir waren Balken, auf denen irgendetwas lag, was ich nicht identifizieren konnte. Links von mir befand sich ein großer, unförmiger Kasten. Erst nach langem Hinstarren begriff ich, dass es ein aufgebockter PKW war, über den jemand eine Plane gebreitet hatte. Und dann war da ein neuer Geruch, etwas Säuerliches. Das kannte ich, das war Schweinestallgeruch, diese unnachahmliche Mischung aus gehäckselten Rüben, saurer Milch und der Zugabe von Mais und Kleie.
    Dann sah ich das Licht.
    Zuerst dachte ich, das Dach habe ein Loch, durch das der Mond hineinschien, aber es war nicht der Mondschein. Die Plane über dem PKW hatte einen Riss oder sie klaffte auseinander. Und durch diesen Spalt floss sanftgelbes Licht.
    »Huhu«, sagte ich, »ich weiß doch, dass du im Auto sitzt. Ich will nur reden, nichts sonst.«
    »Huhu ist traurig«, sagte er seltsam klar. Er hatte eine tiefe Stimme, einen Bass.
    »Ich bin es auch«, sagte ich und war sekundenlang verwundert, weil es wirklich so war. »Nati ist tot und Sven ist tot.«
    »Ja«, sagte er. »Alle tot.«
    »Darf ich zu dir kommen? In das Auto?«
    »Ja. Aber nicht Arzt.«
    »Kein Arzt. Ich bin kein Arzt.« Ich stand auf und ging zu dem Auto hin. Es waren nur wenige Schritte, aber irgendetwas auf dem Boden ließ mich straucheln und ich fiel vornüber. Das verwundete Bein schmerzte.
    Ich brauchte einige Atemzüge, bis der Schmerz nachließ.
    Plötzlich war Huhu neben mir und meinte erheitert: »Alte Fliesen. Da liegen alte Fliesen.« Er griff unter meine Achseln und hob mich mühelos hoch. Dann bugsierte er mich vor sich her auf die andere Seite des Autos.
    Dort gab es keine Plane, die vordere Tür des Autos stand offen. Es war ein alter Ford, wahrscheinlich ein Taunus. Der Fahrersitz fehlte, so dass man bequem hineinsteigen konnte. Auf dem Rücksitz war ein Bett hergerichtet, ein richtiges Bett mit rot karierter Bettwäsche. Das Auffälligste aber war eine Petroleumlampe, die Huhu mit einem Draht am Lenkrad festgemacht hatte. Auf dem Beifahrersitz lag ein Holzbrett mit Brot, einer Schachtel Margarine, einer Dose Marmelade und einem Messer.
    Huhu kletterte an mir vorbei auf den Rücksitz. Er trug ein bunt kariertes Hemd und Jeans, dazu dicke Wollsocken.
    »Essen!«, forderte er mich freundlich auf.
    Ich kletterte in das Auto, nahm das Holzbrett und legte es auf den Boden. »Danke«, sagte ich, schnitt mir eine Scheibe Brot ab, strich Margarine darauf und dann Erdbeermarmelade. »Das ist gut.«
    Ein Küchenhandtuch war um seine rechte Hand geschlungen.
    »Was ist das?«, fragte ich.
    »Abgequetscht«, sagte er ohne sonderliches Interesse, nahm aber das blau-weiß karierte Küchentuch ab. Darunter war ein zweites Küchentuch. Er nahm auch das ab und wurde immer vorsichtiger. Dann sagte er erneut mit Stolz in der Stimme: »Abgequetscht«, und hielt mir die Hand hin.
    Es stank bestialisch, es stank nach Fäulnis.
    Er hatte den kleinen Finger nicht gequetscht, den Finger gab es nicht mehr, er war verschwunden. Und der nächste Finger, der Ringfinger, stand quer in die Hand hinein, als gehöre er nicht dazu. Wahrscheinlich war der Finger gebrochen. Die Wunde war groß, die Hand unförmig geschwollen, die Wundränder zeigten scharfe Rotfärbungen und gelbliche Herde. Die Hand

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