Eifel-Schnee
Verantwortung nicht mehr übernehmen wollte. Er hatte Angst, daß einer dieser Besucher seinem Patienten irgendwelche Stoffe mitbringen würde. Die erste kritische Phase der körperlichen Entziehung war zu dem Zeitpunkt abgeschlossen. Der Kollege aus Gerolstein rief also mich an und bat, ob wir den jungen Mann aufnehmen könnten. Ich sagte selbstverständlich unsere Hilfe zu, aber ich stellte eine Bedingung: Der Kollege in Gerolstein sollte jedermann die Auskunft erteilen, der Patient sei auf eigenen Wunsch nach Süddeutschland verlegt worden und der Name der Klinik sei aus Datenschutzgründen nicht zu nennen.
Nun gut, der Patient wurde also mitten in der Nacht hierher verlegt.«
»Wann war das?«
»Vorgestern«, sagte der Arzt tonlos, und ich ahnte Böses. »Gestern nun passierte folgendes: morgens gegen elf Uhr tauchte ein Besucher bei der Stationsschwester auf und sagte, er sei Drogenberater bei der Behörde und wolle den Patienten besuchen. Der Mann war ungefähr dreißig Jahre alt, trug einen Anzug, Krawatte, sehr ordentlich, ein richtiger Beamter. Die Stationsschwester hielt das alles für völlig normal und zeigte dem Mann das Zimmer des Patienten. Der Mann bedankte sich und ging hinein. Ungefähr eine Stunde später kontrollierte die Stationsschwester routinemäßig vor dem Mittagessen den Patienten. Sie fand ihn nahezu bewußtlos, und er war voll mit Stoff. Ich weiß nicht, ob Sie jemals erlebt haben, wie Heroin bei Entzug wirkt. Der Körper des Patienten wird von wilden Zuckungen erschüttert. Buchstäblich so, als hätte er ein Schlangennest im Magen. Wir wissen nicht, ob er durchkommt, es ist mehr als kritisch.«
»Heiliger Strohsack!« hauchte ich »Und es ist Heroin?« fragte Rodenstock.
Grundmann nickte. »Kein Zweifel.« Er war aufgeregt, wütend und traurig. »Vielleicht war es ein Dealer, vielleicht ein Freund. Wir wissen es nicht, wir konnten ihn bisher nicht identifizieren. Kremers von der Kripo hat uns versprochen, die Sache unauffällig und sofort zu untersuchen.«
»Dieter Kremers?« fragte ich.
»Ja. Er wußte von mir, daß wir den Patienten übernommen hatten. Er mußte es wissen, er wollte den Mann nämlich verhören, sobald der einigermaßen gesund war.«
»Sieh an«, murmelte Rodenstock.
»Offene Frage«, bolzte ich los. »Warum erzählen Sie uns das?«
»Es ist wegen Mario. Sie haben doch gesagt, sein Unfall war kein Unfall und steht in Zusammenhang mit der Drogenszene hier im Landkreis. Und mein Patient ist heroinabhängig und wird im Krankenhaus unter Stoff gesetzt. Deshalb.«
»Danke«, sagte ich und meinte es so.
»Ist der Patient noch hier?« fragte Rodenstock.
»Selbstverständlich nicht. Wir haben ihn nach Mainz in die Uniklinik fliegen lassen. Sie sagen, es ist kritisch, aber da sie gut sind, hoffe ich, daß sie ihn durchkriegen. Ich frage mich fassungslos, wie diese Leute herausgefunden haben, daß der Patient hierher verlegt worden ist. Gewußt hat es in Gerolstein nur der behandelnde Arzt, nicht einmal seine Schwestern hat er informiert. Gewußt hat es außerdem die Besetzung des Krankenwagens vom Deutschen Roten Kreuz. Aber die schwören, kein Sterbenswörtchen gesagt zu haben. Hier wußte ich davon und die Stationsschwester, sonst niemand. Nicht einmal die stationäre Aufnahme von der Verwaltung, weil die an den Weihnachtstagen selbstverständlich gar nicht gearbeitet haben. Hat also etwa der reiche Papi, der Chemieunternehmer, geschwätzt? Sowas ist doch unvorstellbar, oder etwa nicht?«
»Bleibt noch der Kriminalbeamte«, erinnerte Rodenstock.
»Gut, habe ich auch schon dran gedacht, aber das erscheint mir abenteuerlich, denn der unbekannte Besucher hatte Heroin in einer Spritze bei sich. Schickt Kremers einen Dealer mitsamt Heroin?«
»Unwahrscheinlich«, murmelte ich und kratzte meine Pfeife aus, sie zog nicht.
Rodenstock wollte etwas sagen, schwieg dann aber.
»Sie sollten das wissen«, murmelte Grundmann. »Machen Sie damit, was Sie wollen, aber sagen Sie niemandem, daß Ihr Wissen von mir stammt.«
»Wir versprechen es«, nickte Rodenstock. »Ist ... ist Mario schon vernehmungsfähig?«
»Nein. Er liegt noch im Tiefschlaf, und wir wollen diese Phase ausdehnen. Das wird noch schwer genug.«
Wir gingen. Im Aufzug meinte ich: »Kremers hat eine Schweinerei am Bein.«
»Das ist das Phantastische an der Situation eines Beamten«, schimpfte Rodenstock aufgebracht. »Er kann alles abstreiten bis zum Abwinken, er braucht keinerlei Auskunft zu geben. Er
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