Eifel-Schnee
Aber ich bin nicht hingegangen, weil Ole gesagt hat, ich soll niemals kommen, wenn er Besuch hat.«
»Wann hat er das gesagt?«
»Das hat er oft gesagt, das hat er immer gesagt.«
»Weißt du, warum er das gesagt hat?«
»Nein, weiß ich nicht.«
Er wollte dich schützen, dachte ich fiebrig. Er wollte dich vor bestimmten Menschen bewahren. »Bist du auch niemals dabei gewesen, wenn dieser Holländer zu Besuch war? Dieser Jörn van Straaten?«
»Doch, einmal war ich dabei. Aber da war Ole nicht da, und ich kam rein, und Betty und der Holländer waren am Ficken.«
»Wie bitte?« fragte ich schrill.
Mit der Unschuld eines Kindes, das feststellt, daß alle Erwachsenen dämlich sind, sagte er: »Na also, die haben gefickt. Wieso?«
Mir fiel nichts anderes ein, als: »Och, nur so.« Dann sprach ich rasch weiter: »Wann war denn das?«
»Das weiß ich nicht mehr.«
»Kannst du dich erinnern, ob das abends oder tagsüber war? Und was für ein Hemd hast du getragen?«
Er überlegte eine Weile. »Sommer«, entschied er dann. »Weil, ich war mittags mit Betty mit nackten Beinen unten in der Kyll.«
Jetzt kommt es, Baumeister, sei vorsichtig, behandle ihn wie ein rohes Ei. »Sag mal, wollte dein Bruder die Betty eigentlich heiraten?«
»Weiß ich nicht. Sie haben gemeint, man müsse nicht heiraten. Betty hat ja erzählt, sie kriegt jetzt endlich ein Kind. Da habe ich gesagt, daß die meisten heiraten, wenn sie ein Kind kriegen. Ole hat nur gelacht.«
»Hat er sich auf das Kind gefreut?«
»Ja klar. Er hat ... also, ich war dabei, als Betty beim Frauenarzt war. Ich mußte im Wagen warten. Dann sind wir nach Hause gefahren, und Ole hat gerade den Pajero gewaschen. Betty hat gerufen: Du wirst Vater! Da hat er gebrüllt, und ich dachte erst, er schimpft oder so. Aber er hat sich gefreut und gesagt, wenn es ein Junge wird, soll er so heißen wie ich.«
»Wie heißt du denn? Du heißt doch nicht Schappi.«
»Mein Name ist Michael«, erklärte er. »Ich heiße Schappi, weil das das erste Wort war, das ich gekonnt habe, als ich noch ganz klein war. Ole hat auch zu mir gesagt, wenn das Kind kommt, bist du der jüngste Onkel in Jünkerath.«
»Deine Eltern schlafen jetzt wahrscheinlich, oder?«
»Ja, die schlafen. Die haben beide ziemlich viel getrunken. Sie weinen auch viel.«
»Das kann ich gut verstehen. Sag mal, weißt du eigentlich, was Ole und Betty so vorhatten in nächster Zeit?«
»Na, sie wollten doch nach Kanada. Und dann sollte ich nachkommen und bei ihnen leben. Sie haben gesagt, da wäre auch der Niagara-Wasserfall. Stimmt das?«
»Das stimmt. Hast du deinen Eltern von Kanada was erzählt? Und hast du ihnen auch erzählt, daß Betty und der Holländer gefickt haben?«
»Ich habe meinen Eltern nie was von Ole und Betty verraten. Ich habe doch Ole und Betty mein Ehrenwort gegeben. Und ich habe Betty nichts von Ole gesagt und Ole nichts von Betty. Ich bin ja jetzt schon größer, und Ole meinte, ich soll mich nie einmischen und ich soll auch niemals tratschen.«
»Sind Ole und Betty eigentlich oft nach Holland gefahren zu dem Holländer?«
»Ja, ich glaube schon, aber genau weiß ich das nicht. Ich war ja nie mit. Einmal ist Betty allein hingefahren, da war Ole sauer, und er hat sie fast geschlagen. Aber Ole ist auch allein zu dem Holländer gefahren, das weiß ich genau. Und dann war da ja auch noch der Kremers, das ist ein Zivilbulle. Der kam auch manchmal. Ole hat mir gesagt, daß Betty davon nichts wissen sollte. Aber sie hat es trotzdem irgendwie mitgekriegt, und dann hatten sie Qualm in der Küche. Betty hat gesagt, der Kremer ist ein mieser Bulle, und jedes zweite Wort ist gelogen.«
»Moment mal, du meinst den Kriminalpolizisten aus Daun?«
»Klar, das ist der aus Daun. Den hat Ole getroffen. Und einmal war ich dabei, aber sie haben mir gesagt, ich müßte im Wagen bleiben. Das war Ende der Sommerferien, das war im belgischen Supermarkt, wenn man nach Kronenburg fährt und dann etwas weiter.«
»Der belgische Supermarkt in Losheim, gleich nach der Kreuzung?«
»Ja, der. Die haben immer so gute Schokolade, und Ole hat da immer Zigaretten gekauft und so Sachen. Kaffee auch.«
»Wirst du eigentlich nicht müde?« fragte ich, um ihn ein wenig abzulenken.
»Ich kann sowieso nicht schlafen, weil ich immer an das Feuer denken muß. Kannst du mal vorbeikommen. Ich meine, einfach so?«
»Das tue ich«, versprach ich. »Das tue ich ganz sicher.«
»Kann ich dich denn auch mal besuchen? Ich habe
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