Eifel-Sturm
Versicherungen treffen. Nein, nein, ich kümmere mich leidenschaftlich um die Toten. Ich bin auf dem Weg zu Anna, ich will von ihr hören, was sie dazu zu sagen hat, dass Driesch und Wilma nicht mehr an Hollerath interessiert waren.«
»Das kannst du dir sparen, das ist ausgelutscht. Wenn ich dir einen Rat geben darf: Spar das Thema aus. Sie hat mir deutlich zu verstehen gegeben, dass sie das einen Scheißdreck interessiert. Übrigens noch was. Deine Kollegen von einer dieser widerlich bunten Illustrierten wollen herausgefunden haben, dass Wilma Bruns schwanger war. Im dritten Monat, nach Auskunft eines in dieser Gegend bekannten Frauenarztes, der nicht genannt sein will. Der Mann hat gegenüber dem Blatt behauptet, dass Bruns gesagt habe, ihr Baby sei das Baby von Jakob Driesch. Scheißjournalisten kann ich da nur sagen! Also, lass Anna Driesch in Ruhe.«
»Aber ich liebe Originalzitate, Kischkewitz. Ich werde sie schonen. Mach's gut.«
Ich fuhr wieder los. In der engen Rechtskurve vor der Ampel in Blankenheim stand mitten auf der Fahrbahn ein PKW mit belgischem Kennzeichen. Das Paar darin studierte in tiefer Versunkenheit den Autoatlas, um herauszufinden, wo es sich gerade befand. Ich wartete zwei Minuten, dann ging es weiter. Das Regengrau des Himmels wurde ein wenig heller, und als ich mich Schieiden näherte, guckte eine zögerliche, fast scheue Sonne durch die Wolken und malte freundliche, gelbe Striche in die Landschaft.
Anna erschien in der Haustür. Sie trug wieder das lange schwarze Kleid, einen tiefroten Seidenschal um den Hals und lächelte.
Ich war verlegen und sagte: »Ich werde dich doch nicht danach fragen, wieso die Bruns und dein Mann Hollerath versaut haben. Ich hab's kapiert, das ist nicht wichtig.«
»Das ist nett, Baumeister. Aber lass dir sagen, dass Jakob nach vielen, vielen Jahren wahrscheinlich zeitweilig die Nase voll hatte von der Windkraft. Und ich kann es ihm nicht übel nehmen. Dass Wilma Bruns auch nach Berlin gehen wollte, habe ich nicht gewusst. Aber muss ich so was wissen? Komm rein, ich habe einen Tee für uns. Lapsang Souchong, chinesischen Räuchertee.«
»Das ist irre. Den liebe ich.«
»Ich habe mich daran erinnert.«
Wir gingen in das Esszimmer und hockten uns an einen uralten Tisch aus Walnussholz, ein Geschenk ihres Vaters, auf das Anna immer stolz gewesen war.
»Wie geht es den Kindern?«
»Schlimm. Sie leiden. Meine Mutter sagt, sie weinen viel. Ich habe sie in der Schule abgemeldet. Das wäre sonst ein Spießrutenlauf. Wir werden es aber packen, denke ich. Meine Eltern sind rührend.«
»Hast du eigentlich auch Annette von Hülsdonk gekannt?«
»Aber sicher. Gut sogar. Monatelang war sie dauernd hier. Als Hollerath auf der Planungsliste stand. Sie, Wilma und Jakob haben nächtelang diskutiert. Und ich habe sie bekocht. Im Grunde mochte ich das Mädchen nicht. Sie war ein Groupie, verstehst du?«
»Tut mir Leid, nein.«
Sie lächelte schmerzlich. »Das ist ganz einfach. Jakob war der Typ Mann, der den Vater verkörperte, den die meisten jungen Dinger nie hatten oder von dem sie sich einbildeten, sie hätten ihn nie gehabt. Ich hatte am Anfang seiner Laufbahn arge Schwierigkeiten damit. Dauernd tauchten so junge Dinger auf und himmelten ihn an, wobei sie auf mich nicht die geringste Rücksicht nahmen. Ich war halt die Tussi, mit der er verheiratet war. Irgendwann habe ich dann festgestellt, dass Jakob über sie lächelte, aber viel zu höflich war, ihnen seinen Spott offen zu zeigen. Annette von Hülsdonk war eine klassische Vertreterin dieser Spezies. Sie erschien hier aufgetakelt wie eine Buschkriegerin und himmelte ihn an, dass es peinlich war. Meine Töchter haben gegrinst: Da kommt die Tussi, Papa, mit der du ins Bett gehen solltest – ganz schnell! Ja, und dann wurde diese Tussi plötzlich erwachsen, sie setzte sich für Windkraftanlagen ein, sie machte sich schlau, sie wurde richtig wertvoll für Jakob. Dass sie so endete, ist tragisch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr Vater das so einfach wegstecken wird. Er ist ein Gefühlsbolzen. Ich hoffe, dass dieser Bastian ihm nicht begegnet. Wahrscheinlich würde er den Jungen erschießen ... Ich möchte dir etwas schenken.« Sie stand auf und holte aus einer Schublade eine Kassette. Sie legte sie vor mich hin. »Kannst du was mit W. C. Handy anfangen?«
»O ja, das war doch der, der die alten Blues- und Worksongs aufgeschrieben hat. Zum ersten Mal Noten in der schwarzen Volksmusik. Das Wort Jazz war
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