Eifel-Träume
Arrogante: »Hast du dich endlich an mich erinnert?«
Sie stand auf dem Hof neben einer Reisetasche und wirkte sehr verloren.
Ich würgte den Motor ab, stieg aus und murmelte: »Das ist nicht zu fassen.«
Und dann setzte ich einen Satz hinzu, für den ich mich heute noch schäme. Ich sagte tatsächlich: »Wie kommst du denn hierher?« Lieber Himmel, können Väter dämlich sein.
Leise erwiderte sie: »Guten Tag. Mit dem Zug.« Dann sprach sie unvermittelt schnell. »Ich bin in einem Kaff namens Gerolstein ausgestiegen. Das ging nicht anders. Und dann mit dem Taxi hierher. Ich habe die ganze Zeit gebetet, dass du zu Hause bist. Gott sei Dank. Ich muss mal dringend pinkeln.«
»Ja, natürlich. Warte.« Ich schloss die Tür auf. »Flur entlang, dann halb rechts.«
Sie war viel kleiner und schmaler, als ich sie in Erinnerung hatte. Sie trug ein blaues T-Shirt über einem leichten weißen, langärmeligen Pulli, die Hose war khakifarben, dreiviertellang und hatte Strippen und Reißverschlüsse an den unglaublichsten Stellen; diese Art Beinbekleidung erinnert mich immer an ein falsch aufgetakeltes Ein-Mann-Zelt.
»Was möchtest du? Einen Kaffee?«, fragte ich laut.
»Das wäre gut«, rief sie zurück.
Also ließ ich die Maschine laufen und fragte mich, weshalb sie hergekommen war. Und ob das eine Änderung meines Lebens für mich bedeutete. Auf die Idee, dass sie einfach ihren Vater besuchen wollte, kam ich vor lauter Aufregung nicht.
Dann stand sie hinter mir und berührte mich an der Schulter. »Wie geht es dir, Väterchen?«, fragte sie in dem Ton tiefster Selbstverständlichkeit, mit dem Menschen sich in solchen Situationen gern über die Runden retten.
»Eigentlich gut.«
»Was heißt denn ›eigentlich‹?«
»Na ja, im Großen und Ganzen. Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen?«
»Das ist zehn Jahre her«, antwortete sie. »Da war ich zwölf. Ich soll dich von Mami grüßen.«
»Danke. Wie geht es ihr?«
»Auch gut. Sie hat einen Freund und der hat gerade ein Haus gekauft. Mami richtet es von morgens bis abends ein. Gehört das Haus hier dir?«
»Ja.«
Sie schwieg.
»Ich gieße uns mal Kaffee ein.« Ich ging in die Küche und goss zwei Becher voll, nahm die Milchkanne, die Zuckerdose und zwei kleine Löffel und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
»Das finde ich sehr schön, dass du gekommen bist.«
Ihr Gesicht war sehr klar, ihre Augen aufmerksam und von einem lichten Blau. Und sie war hübsch.
»Ich habe lange darüber nachgedacht«, erwiderte sie. »Darf ich hier rauchen?«
»Natürlich. Ich steck mir eine Pfeife ins Gesicht.«
»Bist du verheiratet? Hast du eine Frau?«
»Nein, ich bin nicht verheiratet und ich habe keine Frau. Wie steht es mit den Mackern in deinem Leben?«
»Nichts Spezielles. Man hat mal was, aber mit großen Pausen bitte. Was treibst du so? Ich meine, was arbeitest du?«
»Reportagen, nach wie vor.«
»Hier, vom Arsch der Welt?«
»Vom Arsch der Welt.« Ich hatte mich für eine kleine schwarze, gebogene Vauen entschieden. Sie ließ mich so bescheiden aussehen, wie jemand aus der Bekanntschaft mal süffisant bemerkt hatte. »Wohnst du noch bei deiner Mutter?«
»Nein. Ich habe eine eigene kleine Wohnung in Schwabing.«
»Und du studierst?«
»Ja, auch. Und ich arbeite viel als Freie für den Bayerischen Rundfunk.«
»Du bist Journalistin?«
»Ja, könnte man sagen. Im Moment. Was ich später machen werde, weiß ich noch nicht. Ich studiere Politik und neuere deutsche Geschichte.« Ihr Handy schrillte, sie fummelte es aus einer der vierundzwanzig Taschen ihrer Hose, drückte einen Knopf und sagte: »Ja, bitte?«
Dann stand sie auf und wanderte hinaus in den Flur, wobei sie mit einem leichten Schlenker des linken Arms die Tür hinter sich zufallen ließ. Das sah regelrecht gekonnt aus.
Ich vergaß, meine Pfeife anzuzünden, und dachte an ihre Mutter und daran, welche Fehler wir gemacht hatten. Dass ich geflohen war, um mich selbst wiederzufinden. Dass ich eigentlich immer noch nicht wusste, was damals so elend schief gegangen war. Na ja, meine Sauferei wahrscheinlich und noch wahrscheinlicher meine Angst vor dem Leben.
Sie kam wieder herein. »Entschuldigung, das war Mami. Sie wollte wissen, ob ich gut angekommen bin.«
Sie setzte sich hin und wirkte irgendwie schrecklich brav, vielleicht wie eine höhere Tochter vor fünfzig Jahren, was immer das letztlich bedeuten mochte. Mit kleiner Stimme fuhr sie fort: »Vermutlich störe ich dich. Du brauchst keine
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