Eifel-Träume
schwierig. Die junge Dame sagt, ihr Therapeut habe sie geschickt.«
»Ach, du lieber Gott. Du klingst sauer.«
»Ich bin es. Sie sitzt mir gegenüber und telefoniert dauernd. Mit Mami, mit irgendwelchen Freunden, die alle wissen wollen, wie es ihr mit mir geht. Der Vater, das Monster.«
»Sie ist hilflos und ängstlich. Das weißt du doch.«
»Sie ist erwachsen«, widersprach ich.
»Niemand ist erwachsen, wenn es um derartige Dinge geht. Du hast nie von ihr erzählt … Vera will dich sprechen.«
»Hei«, sagte Vera. »Wie geht es dir?«
»Nicht so besonders. Und selbst?«
»Auch nicht so besonders, das hast du ja gehört. Ich würde dich gern sehen, wenn das geht. Morgen oder so.«
»Komm doch einfach sofort«, sagte ich und war dankbar, als sie antwortete, sie sei schon unterwegs.
Ich überlegte, ob ich zu Clarissa auf den Dachboden gehen sollte, um ein wenig Versöhnung zu versuchen, ließ es aber. Dann glaubte ich, ihr Handy läuten zu hören, und wurde wieder wütend. Tatsächlich sprach sie mit jemandem und ihre Stimme klang hell und klar und nicht im Geringsten nach irgendwelchen Unstimmigkeiten.
Na klar, heute war meine Sprechstunde. Kommet alle her, die ihr mühselig und beladen seid, lasst euch trösten vom großen Tröster.
Als Vera schellte, war ich von Herzen froh.
»Willst du einen Schnaps oder einen Wein?«
»Einen Schnaps, bitte, einen großen.«
»Setzen wir uns in die Küche, ach nein, da ist noch Unordnung. Also ins Wohnzimmer.«
»Hier riecht es wie immer.«
»Und wie riecht es hier?«
»Nach Spiegeleiern und nach dir. Mal abgesehen von deiner Tochter: Was treibst du so?«
»Ich war nicht gut drauf in der letzten Zeit. Jetzt wird es langsam besser.«
»Wo ist sie?«
»Unterm Dach juchhe. Das soll uns aber nicht kratzen.«
»Sie ist wahrscheinlich schrecklich unsicher. Deswegen telefoniert sie auch dauernd. Ein Polizeipsychologe hat mal gesagt, dass junge Menschen sich an ihr Handy klammern können, als sei es ein Rettungsring.«
»Ja, ja, schon gut. Ich werde sie nicht fressen. Du bist hier, das freut mich. Was ist dir passiert?« Ich goss ihr einen großen Williamsbirnenschnaps ein.
»Na ja, das war eine schlimme Zeit in der Pressestelle. Jetzt mache ich Urlaub, um herauszufinden, ob ich dorthin zurückkehren soll.« Sie lächelte mit schmalen Lippen. »Ich will dir aber nicht auf den Geist gehen und Schmerzensarien singen. Ich brauchte einen Tapetenwechsel, da hat Emma gesagt, ich könne kommen.«
»Emma ist ein Schatz«, murmelte ich.
»Was machen die Frauen in deinem Leben?«
»Das kannst du nicht ernsthaft fragen. Wenn eine Frau hier wäre, hätte Emma dir das längst erzählt.«
»Nein, hätte sie nicht. Du bist Familie und über die redet sie nur, wenn sie wütend ist.« Sie sah zur Tür hinaus, die auf die Terrasse führte. »Ich bin hier wie zu Hause. So ein Gefühl hatte ich in Mainz nie.«
»Du hattest eine Bude und wenig Freunde, nehme ich an.
Und irgendjemand wollte dich abschießen, habe ich gehört. Und daraufhin konntest du nicht mehr arbeiten. War das so?«
»Ja.« Ihr Mund wirkte nun wie der eines Clowns, der weinen will. »Ich bin ausgenutzt worden. Du weißt schon, ich hatte die Arbeit und er das Vergnügen.«
Das erinnerte mich an etwas, aber ich hakte nicht nach. Sie würde Zeit genug haben, mir alles zu erzählen, irgendwann. Sie war immer eine schöne Frau gewesen, jetzt hatte sie das Aussehen einer schönen Frau, die Kummer hat. Ihr Gesicht war schmaler geworden, die Wangenknochen traten deutlicher hervor, das Kinn war weiter vorgestreckt.
»Du bist schön«, sagte ich.
Sie starrte mich an und schien verlegen. Sanft schüttelte sie den Kopf. »Ich fühle mich wie eine alte Frau.«
»Und wie fühlt sich eine alte Frau?«
Sie lachte. »Das ist schlecht zu vermitteln.«
»Lass uns auf die Terrasse gehen«, schlug ich vor. »Dann können wir meinen Garten atmen.«
»Und hier drinnen lauschst du immer mit halbem Ohr, was deine Tochter oben macht. Sie telefoniert, falls du das nicht hörst.«
Wir zogen also um und ich goss ihr einen weiteren Birnengeist ein. Ich selbst bekam eine Apfelschorle vom Dreiser Brunnen und fragte: »Was ist, wenn du nicht wieder zurückwillst?«
»Dann muss ich bohren, dass ich dorthin komme, wohin ich will. Das wird aber schwierig. Personalengpass nennt man das.« Sie seufzte. »In Wahrheit geht es mir beschissen. Ich hasse das Apartment in Mainz und noch mehr hasse ich mich selbst. Ich hätte sehen müssen, was
Weitere Kostenlose Bücher