Eifel-Träume
Punkt säuft er auch Schnaps. Jeder Kneipier auf fünfzig Quadratkilometern weiß, dass es dann gefährlich wird. Denn Retterath prügelt gern. Wenn er betrunken bei Mauren war, kann er der Täter gewesen sein. Aber unterschreiben würde ich das nicht. War Mauren denn hinter Schmitz und Retterath her?«
»Mit absoluter Sicherheit. Mauren war wütend und empört. Und er kannte die Summen, mit denen Schmitz gespielt hat. Auf den Euro genau.«
»Sicher«, nickte Grotian. »Mauren hatte sein Konto auch bei Bellut. Und Mauren hat ihn zum Reden gebracht. So einfach ist das.«
»Vielen Dank für Ihre Offenheit, ich geh dann mal wieder«, sagte ich nun und gab ihm die Hand.
Er brachte mich nicht zur Tür. Er blieb wie ein Besiegter an seinem Küchentisch sitzen und hielt den Kopf gesenkt. Im Fernseher tobten Begeisterungsstürme.
SIEBTES KAPITEL
»Das alles nutzt im Fall Annegret nichts«, sagte ich laut im Auto. Was sollte ich jetzt tun? Ich kam mir heimatlos vor, wollte mich nicht in die offenen Arme von Clarissa oder Vera stürzen, sondern hatte das Gefühl, eine richtig gute Kneipe würde mir gut tun. Also auf zu Leo’s in Gerolstein, eine der besten Kneipen weit und breit, beheimatet im Hotel Calluna.
Ich kam gerade rechtzeitig, um mir noch etwas zu essen bestellen zu können. Ich bat um das Übliche: »Drei Spiegeleier auf Bratkartoffeln in der Pfanne, einen doppelten Espresso und ein Wasser, bitte.«
Wieso, zum Teufel, hatte Kischkewitz eigentlich von einem geheimen Leben der Kinder gesprochen? Das hatte doch in unserer letzten Unterhaltung keine Rolle gespielt. Was war da in seinem Hirn abgelaufen? Und was meinte er mit ›geheimem Leben‹? Natürlich sagen Kinder ihren Eltern lange nicht alles, was sie tun, träumen, ängstigt, denken. Aber war das nicht normal? War das nicht in meiner Jugend genauso gewesen?
Ich überlegte, wie man wohl mit den Kindern im Fall Annegret umging: von Psychologen umsorgt, von ihren Eltern mit ein wenig Scheu, aber auch mit großer Rücksichtnahme begleitet. Etwas war geschehen, was diesen Kindern einen besonderen Status gab, den Status der Trauernden, der Erschreckten. Seid ganz sanft, erinnert sie nicht, verstört sie nicht noch mehr!
Erinnern woran? Sie waren nach Hause gegangen und hatten das gemacht, was sie immer taten: mit dem Computer spielen, Hausaufgaben erledigen, vielleicht mit jemandem telefonieren oder fernsehen, vielleicht Musik hören und davon träumen, selbst ein Musiker zu sein.
Die Bratkartoffeln mit den Eiern kamen. Ich ließ das Denken sein und konzentrierte mich auf eine der vornehmsten Pflichten der Herrscher dieses Planeten: die Nahrungsaufnahme.
Was hatten die Kinder eigentlich von den Gerüchten um Toni Burscheid mitgekriegt?
Annegret hatte auf jeden Fall etwas mitbekommen. Allein wegen der Schreierei ihrer Mutter an besagtem Abend. Und dadurch, dass Toni Hausverbot hatte. Also wussten auch die anderen Kinder mit Sicherheit Bescheid.
Ich musste doch an die Kinder heran und die Frage war, wie ich das anstellen konnte, ohne sie zu beunruhigen oder gar aufzuregen. Zudem galt es, die Eltern zu überwinden, die niemals damit einverstanden sein würden, dass sich ein rücksichtsloser Pressefritze ihren Kindern näherte.
Ich erwischte mich dabei, dass ich mit der Gabel leicht kreischend in der leeren Pfanne herumfuhrwerkte. Hatte es eigentlich gut geschmeckt? Ich wusste es nicht, aber das Gegenteil wäre mir vielleicht eher bewusst geworden. Ich bestellte einen weiteren Espresso. Dann bezahlte ich und machte mich auf den Heimweg. Arbeit lag noch vor mir: Ich musste den Verlauf meiner Recherchen bei Schmitz, Retterath und Grotian zu Papier bringen. Sonst riskierte ich, einen scheinbar unwichtigen Punkt zu vergessen.
In Hohenfels-Essingen standen rechts der Fahrbahn Pferde auf der Koppel. Sie starrten neugierig zu mir herüber.
Zu Hause erwartete mich ein Zettel: Sind bei Emma. Wenn du Lust hast, komm doch! Clarissa.
Ich hatte keine Lust, sondern hörte meine Bandmaschine ab. Außer Anni war niemand aufgelaufen. »Du könntest eine alte Frau ruhig mal besuchen«, sagte sie dröhnend vor Empörung.
Im Faxgerät fand sich der übliche Schmonzes. Heute bot mir jemand künstliche Bäume an, sechzig, achtzig und hundertachtzig Zentimeter hoch. Und eine Schuhpoliturmaschine. Sie werden nirgendwo ein besseres Angebot bekommen, hieß es. Schon vor drei Monaten hatte ich fluchend darum gebeten, man möge mich mit dem Müll verschonen. Aber diese Leute
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