Eifel-Träume
kannten keine Gnade. Sie hatten eine Adresse im englischen Sussex angegeben und dort war grundsätzlich niemand erreichbar. Schöne neue Welt.
Ich brauchte eine Stunde, um den Bericht zu verfassen. Danach fühlte ich mich ausgelaugt und vollkommen erfolglos. Was hatte ich schon? Ein Stück lokaler, kleinkarierter Politik, in deren Gefolge es einen Selbstmord und einen Mord gegeben hatte.
Nicht die geringste Klarheit im Fall der kleinen Annegret. Vielleicht war tatsächlich das Schlimmste passiert: Ein Mörder hatte im Vorbeigehen gemordet, war vierundzwanzig Stunden nach der Tat wieder spurlos im hochmobilen Getriebe dieser Gesellschaft verschwunden, als habe es ihn nie gegeben. Ein Ding für Kommissar Zufall.
Was war mit diesem Nachbarn, dem alten Mann, Pitter Göden, der angeblich so ein ausführliches und merkwürdiges Sexleben führte? Machte es Sinn, ihn zu besuchen? Reine Melancholie ließ mich zu dem Schluss kommen, dass er einen Besuch wert war.
Ich ging schlafen, las nicht mehr, versackte in dem Bewusstsein, an den Kern der Geschichte nicht herangekommen zu sein.
Um sechs Uhr wurde ich wach, weil irgendetwas nicht stimmte. Von draußen von der Straße waren erregte Männerstimmen zu hören.
Jemand sagte: »Wieso fährst du schusseliger Blötschkopf mit einem Langholzwagen durch diese Gemeinde? Hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank?«
Jemand anderer antwortete gedämpft, was, konnte ich nicht verstehen. Das Ganze wurde untermalt von einem gewaltigen Dieselmotor, der nagelte, als kriegte er es bezahlt.
Also rein in den Bademantel und runter in den frühen Tag.
Genau in der Straßenkurve vor meinem Haus stand ein Wagen, der Stämme von rund fünfundzwanzig Metern Länge geladen hatte. Der Fahrer hatte wohl geglaubt, heil durch das Dorf kommen zu können, was angesichts seiner Ladung ein Unding war. Die Spitzen der Stämme hatten die erste Steinreihe auf meiner Gartenmauer glatt wegrasiert und der Fahrer stand nun belämmert in der Frühsonne und ließ sich von meinem Nachbarn Rudi Latten beschimpfen. Nach meiner Einschätzung konnte der Mann mit seinem Truck weder vor noch zurück.
Rudi Latten schimpfte weiter. Mein anderer Nachbar, Theo Jaax, kam hinzu, der gleichermaßen argumentierte. Die wesentliche Frage war, wie der verlegen herumstehende Fahrer die Sache in Ordnung bringen konnte, ohne die benachbarten Gebäude zum Einstürzen und mögliche Frühaufsteher auf ihren Lokussen in akute Lebensgefahr zu bringen. Auf jeden Fall würden wir drei stehen bleiben und schadenfroh zugucken.
»Langsam, langsam«, schaltete ich mich ein. »Regt euch nicht auf. Er steckt in der Scheiße und muss sehen, wie er da wieder rauskommt.«
»Hah!«, machte Rudi Latten. »Wie soll das denn gehen?«
Dreißig Minuten später hatte der Fahrer des Trucks es zu Wege gebracht, durch zentimetergenaues Fahren wenigstens die erste scharfe Kurve zu nehmen. Es lagen zwar noch drei bis vier vor ihm, aber das ging uns drei nichts mehr an, bedrohte unsere Immobilien nicht mehr. Wir trennten uns in dem Bewusstsein, die erste Gefährdung des Tages erfolgreich überstanden zu haben. Ich sammelte meine Mauersteine ein und nahm mir vor, sie bei nächster Gelegenheit mit Schnellbeton wieder auf die Mauerkrone zu setzen. Dorfleben ist etwas wunderbar Aufregendes.
Ich bereitete mir einen Kaffee und starrte fasziniert auf den Fernsehbildschirm. Ein Blondschopf nicht näher bestimmbaren Alters behauptete, er sei ab sofort der neue Teamchef der deutschen Fußballnationalelf. Ich erfuhr auch den Namen des Menschen: Klinsi, sagte der Reporter zärtlich. Der so Genannte bleckte eine Reihe perlweißer Zähne und machte auf Schwäbisch alles in allem einen so entsetzlich harmlosen Eindruck, dass er auch ein Vertreter für Plüschbären hätte sein können. Ich war zufrieden, denn so lange dieses Volk keine anderen Ereignisse aufregend fand, konnte es ihm eigentlich nicht schlecht gehen.
Irgendwann stand Clarissa hinter mir und sagte: »Guten Morgen. Warst du inzwischen bei Tante Anni?«
»Nein, meine Liebe. Keine Zeit. Ich muss Geld verdienen. Und du? Was treibst du?«
»Weißt du, Väterchen, mir gefällt’s immer besser hier. Vielleicht könnte ich hier doch leben.«
»Aber in der Eifel gibt es keine Arbeitsplätze und keine Uni.«
»Das macht nix. Ich könnte nach Koblenz oder Trier gehen. So, und jetzt muss ich duschen und dann rein in neue Klamotten. Sag mal, kann ich deine Waschmaschine anwerfen? Und hast du noch einen Kaffee?
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