Eifelbaron
ungepflegten Vorgarten. Laub gammelte auf dem Rasen, dem man offensichtlich den letzten Herbstschnitt verweigert hatte, vor sich hin. Die Büsche hatten einen Rückschnitt nötig, zwischen den Gehwegplatten wuchs Unkraut. Er klingelte. Kurz darauf hörte er im Flur hinter der Tür Getrappel. »Wer ist da?«, rief eine Kleinkinderstimme. Bevor er antworten konnte, wurde die Haustür geöffnet.
Da stand sie, die Frau, die er auf dem Friedhof verfolgt hatte. Dürr, in einen rosa Freizeitanzug gehüllt, der mindestens fünf Nummern zu groß war und wie ein Sack an ihr herunterhing. An ihre Beine klammerten sich zwei Jungs und sahen mit traurigen blauen Augen zu ihm auf. »Wieder nicht Papa«, sagte der linke und schmollte. Die Zwillinge, die Fischbach auf vier, vielleicht auch schon fünf Jahre schätzte, glichen sich bis aufs Haar.
»Wo ist denn dein Papa?«, fragte Fischbach und lächelte freundlich.
»Verreist«, rief der Kleine. »Ganz weit weg, hat Mama gesagt.«
Fischbach ahnte, was hier los war. Die Mutter hatte es nicht übers Herz gebracht, ihren Kindern zu beichten, dass der Vater stiften gegangen war. Er sah auf. Die Frau wich seinem Blick aus und scheuchte die Kinder ins Haus. »Geht mal hoch, spielen. Ich komme gleich nach.«
Folgsam rannten die Kleinen los, die Treppe hinauf.
»Gut erzogen«, lobte Fischbach, um ins Gespräch zu kommen.
»Was wollen Sie?«, fragte sie unwirsch. Sie wirkte müde und abgespannt. Tiefe Falten in ihren Mundwinkeln ließen sie verhärmt aussehen.
Fischbach zeigte ihr seine Marke. »Sie waren heute Morgen auf der Beerdigung. Darüber wollte ich mit Ihnen sprechen.«
Ihre Augen wurden größer. »Beerdigung … ich?«, stammelte sie.
»Frau Sieper, bitte, ich habe Sie gesehen. Ich habe mir das Kennzeichen Ihres Wagens notiert. Und Sie können mir nicht erzählen, dass Sie mich nicht wiedererkennen.«
Sie schwankte leicht. »Aber ich …«
Fischbachs strenger Blick ließ sie verstummen.
»Ach, scheiß drauf«, fluchte sie und machte den Weg frei. »Geradeaus geht’s ins Wohnzimmer.«
Fischbach ging voraus. Kiefernmöbel empfingen ihn. Ikeastil, nicht sein Geschmack, aber durchaus akzeptabel arrangiert. Ein Panoramafenster gab den Blick in den Garten frei. Auch dort gammelte das Laub vor sich hin.
Frau Sieper setzte sich in einen Ledersessel und steckte sich eine Zigarette an. »Ist es neuerdings verboten, einer Beerdigung beizuwohnen?«
Ohne eine Aufforderung abzuwarten, setzte sich Fischbach auf das Sofa. »Nein, sicher nicht.«
»Was wollen Sie dann von mir?« Sie blies den Rauch zur Decke, schlug die Beine übereinander und ließ den Fuß wippen.
»Kannten Sie Bruce Baron?«
Sie sah dem Rauch hinterher und runzelte die Stirn. »Baron, hm? Wer soll das sein?«
»Es war seine Beerdigung heute Morgen.«
»Oh, ach so. Ich war nur zufällig da und habe mir das Brimborium angesehen.« Ein heftiger Zug an der Zigarette, der glühende Tabak knisterte.
Sie lügt, dachte Fischbach, aber warum? »Wie kann man denn zufällig auf einem Friedhof herumlaufen?«, fragte er mit gerunzelter Stirn.
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, sah dann sofort wieder weg. »Ja, nein, ach, ich habe mich blöd ausgedrückt. Nicht zufällig, schon gewollt. Meine Mutter ist dort begraben. Ich war an ihrem Grab.«
Fischbach lehnte sich zurück und faltete die Hände über seinem Bauch. »Vielleicht besuche ich auch mal das Grab Ihrer Mutter«, erwiderte er im Plauderton, um darauf hinzuweisen, dass eine etwaige Lüge einfach zu enttarnen wäre.
»Vielleicht treffen wir uns dann zufällig dort«, antwortete sie unbeeindruckt.
Nicht unwahrscheinlich, dass ihre Mutter wirklich dort begraben liegt, dachte er. Oben tobten die Kleinen, spitze, freudige Schreie drangen dumpf durch die Decke.
»Die beiden stecken das gut weg, oder?«, fragte Fischbach.
Sie runzelte die Stirn. »Was?«
»Die Trennung von Ihrem Mann«, erklärte Fischbach.
Mit zittrigen Fingern zündete sie an der Glut ihrer alten Zigarette eine neue an. »Sie wissen es nicht«, flüsterte sie. »Ich habe es ihnen nicht gesagt.« Tränen rollten über ihre Wangen. »Er ist einfach auf und davon. Hat mir gesagt, dass er es nicht mehr aushalten würde mit mir. Als ob ich eine Aussätzige wäre«, sprudelte es plötzlich aus ihr heraus. »Ich weiß nicht, wo er steckt oder was er macht. René wollte immer auswandern, nach Südafrika oder Argentinien. Ein Spleen von ihm. Aber wer weiß. Und ich sitze hier und habe keine Ahnung,
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