Eifelheiler (German Edition)
Weile starrte er noch auf den Hörer. Sein Vater musste krank
sein, eine andere Erklärung gab es nicht. Ein Schlaganfall? Krebs? Aber warum
machte seine Mutter ein solches Geheimnis daraus? Sein Vater war bereits
fünfundsechzig, ein Alter, in dem man durchaus mit einer schweren Erkrankung
rechnen musste.
Er ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Bis auf eine
angebrochene Flasche Orangensaft und eine Packung Biowurstaufschnitt gähnte ihm
Leere entgegen. Er seufzte, aß eine Scheibe Wurst und spülte sie mit dem Rest
Saft hinunter.
Wenn er ehrlich zu sich selbst war, freute er sich darauf, das Haus
seiner Kindheit wiederzusehen. Andererseits wollte er sich nicht wieder mit
seinem Vater streiten. Oder ihn mit dem Tode ringen sehen, ansonsten würde er
dem alten Knaben vielleicht doch noch verzeihen. Dafür saß der Stachel einfach
zu tief.
DREIUNDZWANZIG
Zufrieden saß Fischbach hinter dem Tisch und sah in die
Gesichter der Reporter. Trotz des noch frühen Montagmorgens schienen alle
frisch und munter zu sein. Sie tuschelten miteinander, einige hatten ihr
Notebook auf den Schenkeln und tippten wild darauf herum. Er erkannte die
Kremer vom Express. Wie beim letzten Mal zwinkerte sie ihm zu.
Fischbach dachte an das Wochenende. Es war phantastisch gewesen. Mit
dem Hochgefühl, einen Fall erfolgreich abgeschlossen zu haben, hatten Sigrid
und er den Samstag genutzt, um dem Freilichtmuseum Kommern mal wieder einen
Besuch abzustatten. Besonders die neue Baugruppe Marktplatz hatte ihnen
gefallen. Dort wurde die Nachkriegszeit aufgegriffen, und er hatte sich in
seine Kindheit zurückversetzt gefühlt.
Gestern hatte er den ganzen Tag in der Werkstatt verbracht. Dort
hatte er seine Harley gewienert, Schnüffel die Borsten gekrault und dabei die
Flippers gehört. Wenn Sigrid ihn nicht mittags zu Schweinebraten, selbst
gemachten Klößen und Rotkohl ins Haus gerufen hätte, hätte er vermutlich sogar
seinen Hunger verdrängt. Und als ob er am Wochenende nicht schon genug Glück
hatte verspüren dürfen, hatten auch noch die abgelaufenen Augentropfen gewirkt.
Allen, denen er heute bei Dienstbeginn begegnet war, hatte er die Hand
geschüttelt und ihnen übertrieben mit seinem geheilten Auge zugezwinkert.
Abgelaufene Tropfen, pah, von wegen gefährlich. Alles nur eine Masche der
Pharmaindustrie, er wusste es ja schon immer.
Heute Morgen war dann auch noch die Nachricht eingetrudelt, dass
Klötsch sich auf dem Weg der Besserung befand und aller Voraussicht nach keine
bleibenden Schäden davontragen würde. Fischbach freute sich darüber. Und Günter
Wolf blieb zumindest ein zweiter Mord auf seinem Konto erspart.
Welscher saß neben Fischbach und wirkte vollkommen entspannt. Sein
Gesicht sah immer noch aus wie eine Aubergine, doch zeigten sich erste gelbe
Ränder, die auf eine fortschreitende Heilung hindeuteten.
Na, wer sagt’s denn, dachte Fischbach.
Die Last, eine Mordkommission zu leiten, die ihm letzte Woche noch
Kopfzerbrechen bereitet hatte, war von ihm abgefallen. Sie hatten den Fall in
wenigen Tagen gelöst. Wenn die in Düsseldorf davon nicht beeindruckt waren,
dann wusste er auch nicht mehr.
Bönickhausen stürmte herein und setzte sich auf den freien Platz
neben Welscher. Nach und nach versiegten die Gespräche im Raum, und
erwartungsvolle Stille kehrte ein. Als ob der Präsident der Vereinigten Staaten
eine Presseerklärung zur Lage der Nation abgeben würde, dachte Fischbach. Er
richtete sich ein wenig auf und faltete die Hände auf dem Tisch.
Bönickhausen ergriff das Wort: »Meine Damen und Herren, herzlich
willkommen.«
Im selben Moment fiel Fischbachs Blick auf Bianca Willms, die in der
Tür stand und hektisch winkte.
Was sollte das denn? Nichts konnte so wichtig sein, dass es nicht
auch bis nach der Pressekonferenz Zeit hätte. Er schüttelte kaum merklich den
Kopf.
Doch damit schien er sie eher anzufeuern. Ihre Arme kreisten wie
Windräder in der Luft und bedeuteten ihm, zu ihr zu kommen.
Bönickhausen schien nichts zu bemerken. Oder er ignorierte es
standhaft. Er redete gerade von der Effektivität der neuen Strukturen.
Welscher beugte sich zu Fischbach rüber. »Was ist denn mit der
los?«, flüsterte er.
Langsam hob Fischbach die Schulter. Wenn er das nur wüsste.
»Ich hör mal nach.« Welscher stand auf. Er versuchte, Bönickhausen
dabei so wenig wie möglich zu stören. Der stockte nur kurz, sah Welscher kurz
hinterher und machte weiter, wo er aufgehört hatte.
Fischbach
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