Eifelheiler (German Edition)
grauen Augen hinter
der randlosen Brille musterten sie neugierig.
Fischbach zeigte seine Marke und stellte sich und Welscher vor. »Wir
würden uns gerne kurz mit Ihnen unterhalten.«
Über das Gesicht des Mannes huschte ein Schatten. »Wegen der Vrönn?
Schlimme Sache das.« Er machte den Weg frei. »Kommen Sie durch, rechts in die
Küche. Es stört Sie hoffentlich nicht, wenn ich weiterarbeite.«
Fischbach trat über die Schwelle. Sofort fiel ihm der angenehm süße
Geruch nach Honig auf, der in der Luft lag. Überlagert wurde er von Pfefferminz
und Salbei. Auch einen Hauch von Schokolade konnte er wahrnehmen. Aus der Küche
schlug ihm Hitze entgegen. »Puh«, stöhnte er. »Sie mögen es warm.«
Hartmann lachte. »Lässt sich nicht vermeiden.«
Erst jetzt bemerkte Fischbach die weiße Masse auf dem riesigen
Tisch. Er trat näher. »Was ist das denn?«
»Ein Riesenbonbon?«, mutmaßte Welscher.
»Vollkommen richtig.« Hartmann streifte sich schwere Lederhandschuhe
über und begann, die Substanz zu kneten. »Ich stelle Kamelle her, in
Handarbeit, jede für sich ein Unikat.« Er lachte wieder. »Nach meiner
Pensionierung bin ich in ein Loch gefallen. Fast zwei Jahre meines Lebens habe
ich nichts mit mir und meiner Freizeit anfangen können. Eines Tages sah ich
einen Fernsehbericht über eine Bonbon-Manufaktur in Hamburg. Da hatte es bei
mir klick gemacht. Der Kontakt war rasch hergestellt. Ich durfte ein
dreimonatiges Praktikum absolvieren, und seit gut einem Jahr produziere ich
selbst.« Er walkte die Masse ordentlich durch. »Pfefferminzkamelle, Bonbons mit
Salbei, Kräuterbonbons nach Geheimrezept. Anis habe ich auch im Angebot, und
noch vieles mehr.« Er wies mit dem Kinn auf die Regale, die sich längs der
fensterlosen Wand entlangzogen. Unzählige mit Bonbons gefüllte Gläser, auf
denen mit einer verschnörkelten Handschrift beschriebene Etiketten klebten,
standen dort in Reih und Glied.
»Sehr interessant«, sagte Fischbach. Ihm lief das Wasser im Mund
zusammen. Am liebsten hätte er einige der Kamellen probiert.
Hartmann schien Gedanken lesen zu können, denn er sagte: »Im ersten
Regal links oben stehen die Gläser mit den Probierkamellen. Greifen Sie ruhig
zu. Ich muss noch einen Moment mit dem klebrigen Zeug hier kämpfen, während es
kalt wird.«
»Daher die Handschuhe?«, fragte Welscher.
»Ja. Ideal ist eine Temperatur von achtzig Grad«, antwortete
Hartmann. »Kneten ist wichtig, damit die Masse gleichmäßig abkühlt.«
Neugierig schlenderte Fischbach zum Regal und sah sich dabei um. Die
Küche schien fast das ganze Untergeschoss einzunehmen und wirkte eher wie eine
Konditorei. Auf einem Gasherd stand ein riesiger Kupferkessel, in der
Edelstahlspüle wartete Geschirr auf seine Reinigung. Ein großer Haken hing an
der Wand neben dem Fenster. Fischbach nahm an, dass daran der große
Kupferkessel aufgehängt wurde, wenn er nicht gebraucht wurde. »Wie gut kannten
Sie Veronika Kramann?«, fragte er, während er suchend mit dem Zeigefinger über
die Etiketten der Probiergläser fuhr.
»Ganz gut, denke ich. Wir gehören beide sozusagen zu den
Ureinwohnern von Kronenburg. Wir sind sogar gemeinsam zur Kommunion gegangen.«
Fischbach nahm das Glas zur Hand, auf dessen Etikett »Kräuterzauber«
geschrieben stand, und schraubte den Deckel ab. Ein würziger Kamillegeruch explodierte
in seiner Nase. Er schraubte den Deckel wieder zu. Kamille erinnerte ihn zu
sehr an Zahnschmerzen. In seiner Kindheit hatte er immer mit Tee spülen müssen,
geholfen hatte es aber selten. »Wann haben Sie Frau Kramann das letzte Mal
gesehen?«
Nachdenklich hielt Hartmann inne. »Das war letzten Sonntag, nach der
Messe. Heute Morgen habe ich für ihre Seele gebetet, und dabei ist mir in den
Sinn gekommen, dass ich Vrönn nach dem Gottesdienst vor der Kirche zum letzten
Mal gesehen habe.« Bei den letzten Worten brach seine Stimme. Hastig knetete er
weiter.
Guter Schauspieler oder echte Betroffenheit?, fragte sich Fischbach.
Ein Glas mit der Aufschrift »Flammende Liebe« weckte sein Interesse. Es stand
ganz am Rand. Feiner Staub lag auf dem Deckel. Er fingerte ein Bonbon heraus
und steckte es in den Mund. »Wie war Ihr Verhältnis zu Frau Kramann?«
»Wir hatten kein Verhältnis«, antwortete Hartmann.
Fischbach hörte kaum hin. Ein Inferno walzte durch seine Mundhöhle
und schien seine Schleimhäute zu verbrennen. Der Schweiß brach ihm aus. Für
einen Augenblick fürchtete er, seine Augen würden aus den Höhlen
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