Eifelheiler (German Edition)
Kommissar ging
ihr nicht mehr aus dem Kopf, seit sie ihn am Samstag fotografiert hatte. Sie
nippte an ihrem Weißwein, einem Grauburgunder von der Ahr aus dem Hause
Sonnenberg, und ließ ihn über ihre Zunge rollen. Erstklassig, ein 2009er, dem
man den nicht allzu nassen Sommer anmerkte, ausgewogen, mit einer Spur Säure.
Schade, dass die 2010er nicht zu gebrauchen sind, dachte sie und stellte ihr
Glas ab. Zu viel Regen, zu viel Kalk unter den Reben. Ihr jedenfalls schmeckte
der Jahrgang nicht.
Versonnen strich sie über das Foto und seufzte. Die blonden Haare,
die gerade Nase, das schmale Kinn, alles passte perfekt zusammen. Sie erinnerte
sich an seinen musternden Blick aus den blauen Augen, neugierig und stolz.
Sogar sein Parfum hatte sie noch in der Nase, CK One,
eine Mischung aus Bergamotte, Kardamom, frischer Papaya und Ananas. Wenig
später war außerdem eine Note von Veilchen, Rose, Muskat, Moschus und Ambra
wahrnehmbar. Eine ausgezeichnete Wahl für einen jungen Mann.
Sie blinzelte irritiert. Etwas hatte sie gestört. Zunächst konnte
sie nicht orten, was sie vom Foto abgelenkt hatte. Dann aber bemerkte sie etwas
auf der gegenüberliegenden Straßenseite, ein Huschen, etwas Helles. Sie stand
auf und trat näher ans Fenster, um besser sehen zu können. Der Burgbering lag
verlassen zu ihren Füßen, niemand rührte sich. Da war aber doch etwas gewesen,
sie träumte doch nicht.
Plötzlich sah sie einen Schein im Inneren von Veronika Kramanns Haus
umherhuschen. Eine Taschenlampe. War die Polizei noch mal zurückgekehrt? Oder
der Untermieter? Den hatte sie schon länger nicht mehr gesehen. Aber der hätte
das Licht angeschaltet und würde nicht mit einer Taschenlampe leuchten. Ein
Einbrecher? Larissa de Witt fiel die Äußerung ihrer Nachbarin wieder ein. Vrönn
war überzeugt gewesen, dass es im Haus spukte.
Ein Geist?
Unsicher schalt sie sich selbst eine Spinnerin. Dann wohl doch eher
ein Einbrecher. Sie wandte sich vom Fenster ab und griff zum Telefon. Neben der
Station lag die Visitenkarte dieses schmucken Kommissars Welscher.
Die Eins-Eins-Null wäre vermutlich die bessere Alternative gewesen.
Doch sie freute sich zu sehr darauf, den blonden Schönling wiederzusehen, als
dass sie sich diese Chance entgehen ließ.
***
Der Regen trommelte auf das Autodach und lief in Schlieren die
Windschutzscheibe hinunter. Die Digitaluhr im Fiesta zeigte mit grünlich
fluoreszierenden Ziffern halb elf an. Aus dem noch funktionierenden Lautsprecher
dudelte ein Popsong. Welscher hörte nicht zu. Er dachte an seine Eltern, an
ihren Bruch mit ihm vor einigen Jahren. Sein Vater hatte ihn hochkant
rausgeschmissen. Mit einem Schwulen wolle er nicht unter einem Dach leben,
hatte er geschrien und drohend die Fäuste gehoben. Sein Gesicht war wie
versteinert gewesen, doch Enttäuschung hatte in seinen Augen gefunkelt.
Seitdem hatte er den Fuß nicht mehr über die Schwelle seines
Elternhauses gesetzt.
Wenn er den Motor startete und der Straße Auf der Kiereinige hundert Meter bis nach Burgfey folgte, könnte er in
zwei Minuten an die Tür seiner Eltern klopfen.
Erneut hörte er die Mailbox ab. Seine Mutter hatte ihm heute
Nachmittag, während er bei Maria Bartels gesessen hatte und sein Handy
ausgeschaltet gewesen war, eine weitere Nachricht hinterlassen. Ihre Stimme
klang verzweifelt und beschwörend zugleich.
»Jan, bitte melde dich. Es geht um … Es ist dringend. Bitte.«
Er legte das Handy auf den Beifahrersitz und lehnte den Kopf gegen
die Stütze des Sitzes. Bis zu ihrem Streit waren sie ein Herz und eine Seele
gewesen. Sein Vater war so stolz auf ihn gewesen, auf seinen einzigen Sohn, den
Musterschüler mit Einser-Abitur. Welscher dachte an das Zelten mit seinem Vater
an der Rur, an das Lagerfeuer und das Grillen der Fische am Stock, die sie
selbst geangelt hatten. An ihre Ausflüge zum Dachboden, den Sternenhimmel. An
das Familiencampen an der Nordsee, wunderschön sonnige drei Wochen am Watt.
Muschelsuche, salziger Geruch in der Nase, Drachensteigen auf dem Deich.
Er schniefte und rieb sich die Tränen mit dem Ärmel seiner Jacke von
den Wangen. »Verdammte Heulsuse«, schalt er sich selbst und lachte hysterisch.
Wenn sein Vater ihn so sehen würde. Für seinen alten Herrn wäre das Beweis
genug, dass er mit seiner Einstellung, Schwule würden keine richtigen Kerle
abgeben, vollkommen richtiglag.
»Alles Weicheier, die gerne in Frauenklamotten rumrennen«, hatte er
seinen Vater einmal sagen hören, als sie zu
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