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Eifler Zorn

Eifler Zorn

Titel: Eifler Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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tot. Seine Leiche wurde heute Morgen
in der Abrissgrube in Mauel gefunden.«
    Michaela Rüttner schwankte
und suchte, obwohl sie saß, mit einer Hand Halt an der Tischkante. Ina ergriff
ihren Arm, bevor sie seitlich zu Boden glitt, und drückte sanft ihren Rücken
nach hinten gegen die Stuhllehne. »Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?«
Suchend blickte sie sich um. Michaela Rüttner schüttelte stumm den Kopf. Ihre
Miene war ausdruckslos, in ihren Augen schimmerten Tränen.
    »Was ist passiert?«, fragte
sie leise und rang um Fassung. »Hatte er einen Unfall?«
    »Wir dürfen noch keine
Informationen freigeben«, wich Ina der Frage aus. »Entschuldigen Sie bitte,
dass ich Sie das jetzt frage, aber Sie schienen nicht überrascht zu sein, als
meine Kollegin eben die E-Mail erwähnte. Wussten Sie davon?«
    »Ich wusste von der Mail und
was drinstand.« Michaela Rüttners Stimme klang ausgelaugt. »Nicht, wer sie
geschrieben hatte. Sie war doch anonym.«
    »Haben Sie die Mail
gelesen?«
    »Ja.« Sie wischte sich mit
dem Handrücken die Tränen von den Wangen.
    »Woher hatten Sie sie?«
    »Ein Bekannter hat sie mir
gezeigt.«
    »Ein Bekannter?« Ina wirkte
ratlos.
    »Wer war das?«, mischte
Judith sich ein.
    Michaela Rüttner sah weiter
Ina an. »Steffen. Steffen Ettelscheid. Er kam später am Abend vorbei und ging,
kurz bevor Sie kamen. Wir haben ein Glas Wein zusammen getrunken. Sie kennen
ihn doch auch, Frau Weinz, oder?«

ACHT
    »Hier. Den wirst du brauchen«, flüstert der Junge und hält Paul einen
Bleistift hin. Der Meister hat sie heute Morgen ebenso kommentarlos
nebeneinander an die Werkbank gestellt, wie er Paul gestern Abend ein Bett im
Schlafsaal zugeteilt hat. Während der Arbeit müssen sie schweigen, nur wenn sie
vom Meister oder einem seiner Gehilfen angesprochen werden, dürfen sie
antworten.
    Paul
nickt ihm zu, darauf bedacht, dass niemand etwas merkt. »Danke.« Er stellt das
kürzere der beiden Bretter, die vor ihm liegen, senkrecht an den äußeren Rand
des anderen, zeichnet eine schmale Linie und legt das Brett zur Seite. Er nimmt
den Zollstock, misst Breite und Dicke der Bretter, um die nötige Anzahl der
Zapfen zu errechnen. Der Gehilfe des Meisters, einer der älteren Jungen, die
sich durch besondere Leistungen und gutes Verhalten ausgezeichnet haben, bleibt
bei ihm stehen und schaut ihm über die Schulter, bis er sich vergewissert hat,
dass Paul alles richtig macht. Er nickt verhalten und dreht weiter seine Runde.
    »Er
ärgert sich, dass er dich nicht schelten konnte«, sagt der Junge, kichert und
schaut dem Gehilfen zwischen hochgezogenen Schultern nach. »Er findet gerne
Fehler bei anderen, weil er dann selbst besser dasteht.«
    Paul
achtet genau auf den Gehilfen, um sicher zu sein, dass er nichts von ihrer
Unterhaltung mitbekommt. Er hat sich geschworen, so gut und so schnell zu
arbeiten, wie er nur kann, die Regeln zu beachten und niemandem einen Anlass zu
geben, ihn zu tadeln. Nur so wird er es schaffen, hier so schnell wie möglich
wieder rauszukommen. Und das will er. Unbedingt. Schweigend wendet er sich
wieder seinem Werkstück zu.
    Der Junge
feixt. »Es wird dir nichts nutzen!«
    Paul
senkt den Blick. Kann man ihm seine Gedanken ansehen? »Was meinst du?«
    »Alles so
zu machen, wie sie es wollen. Sie werden etwas finden, was sie dir vorwerfen
können. Früher oder später.« Er senkt den Kopf und feilt schweigend schneller,
als der Gehilfe erneut an ihnen vorbeipatrouilliert. »Unser Alfons hier«,
flüstert er und weist mit dem Kinn in die Richtung des Gehilfen, »der ist ein
ganz Eifriger. Vor dem musst du dich in Acht nehmen.«
    »Werde
ich machen. Danke.« Wenn dieser Knabe nur aufhören würde zu reden.
    »Ich
heiße Ludwig.«
    »Paul.«
    »Oh, wir
hatten hier einen Paul. Bis vor zwei Tagen. Da hat er es geschafft und ist
weggelaufen.« Wieder verstummt er, lässt den Gehilfen passieren und flüstert
noch leiser: »Das will ich auch. Nur weg hier. Weg, weg, weg.« Er beißt sich auf
die Lippe, als ob er sein Geheimnis wieder einfangen möchte. Paul sieht ihm
seine Zweifel an, darüber, ob er ihm, dem Neuen, vertrauen kann.
    »Warum
bist du hier?«
    »Ich habe
nichts geklaut«, beeilt Ludwig sich zu sagen. »Ich bin kein Dieb.«
    »Sagen
sie das?«
    Ludwig
schüttelt den Kopf. »Sie sagen, ich bin ein Aufwiegler. Und Aufwiegler sind
Diebe.«
    »Was hast
du getan?«
    »Es ist
nicht recht, was sie mit uns Arbeitern machen. In den Fabriken. Wir arbeiten
für Hungerlöhne, bis wir

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