Eifler Zorn
sich behalten, schweigend gearbeitet, auf das Urteil des
Meisters gewartet. »Aus dir wird noch etwas.« Ein Nicken, eine Anerkennung, die
Andeutung eines Lächelns. An Lichtmess gehen einige der älteren Gehilfen fort,
in Stellung. Die Meister werden neue Ältere brauchen, neue Lehrlinge. Er wird bald
sechzehn. Er will einer von ihnen sein.
Der
Splitter sticht wieder, bohrt sich tiefer. Er bleibt stehen, legt den Handgriff
des Karrens auf den Boden und saugt am puckernden Nagel. Unter dem Schwarz
blutet es. Er versucht, den Übeltäter mit den Zähnen zu erwischen, stößt,
überrascht vom Schmerz, die Luft aus und wedelt mit den Fingern.
»Kann ich
dir helfen?«
Paul
schaut über die Schulter nach hinten und schüttelt stumm den Kopf. Frieda hat
ihn auf ihrem Weg vom Dorf zu ihrer Arbeitsstelle eingeholt. Er darf nicht mit
ihr sprechen. Er hat nicht vergessen, was passieren wird.
»Aber du
blutest.« Frieda zeigt auf die roten Tropfen, die auf den Boden gefallen sind,
und kommt näher, während sie die Hand ausstreckt, damit er ihr die Verletzung
zeigt.
»Nur ein Splitter.
Es ist nicht so schlimm.« Er reibt seine Hand an der Hosennaht, bückt sich und
zieht den Karren wieder an. Frieda zuckt mit den Schultern, fasst ihr
Schultertuch enger und geht mit schnellen Schritten weiter. Ihr Rock wippt, und
die weiße Haube schwebt wie eine kleine Wolke über ihren Haaren.
»Verflixt«,
flucht er leise, reibt und saugt, schmeckt Blut.
Frieda
bleibt abermals stehen, dreht sich um. Sie stemmt die Hände in die Hüften und
kehrt zu ihm zurück. »Das ist doch albern. Du bist ja wie mein kleiner Bruder.
Jetzt lass mich sehen!« Zögernd reicht er ihr seine Hand, die Finger gespreizt.
»Da, am
Zeigefinger.«
Frieda
beugt sich über den Nagel, um besser sehen zu können, und seufzt leise.
»Warte.« Sie kramt in dem kleinen Beutel, den sie bei sich trägt, und fördert
eine Nadel zutage, an der noch ein weißer Faden baumelt. »Die Wäsche der
Gnädigen«, murmelt sie, »ich habe es gestern nicht geschafft, sie zu flicken,
und sie deshalb mit nach Hause genommen.« Sie zieht den Faden aus der Öse.
»Stillhalten.«
Paul
schreckt zurück, als sich die Nadel unter seinen Nagel schiebt, und stampft mit
dem Fuß auf, um den Schmerz zu verdrängen.
»Stillhalten!«,
ruft sie jetzt ärgerlich, kehrt ihm den Rücken zu und klemmt seinen Arm an
ihrer Hüfte fest, ohne auf den Kohlendreck zu achten, der auf dem hellen Grau
ihrer Tracht schwarze Schlieren hinterlässt. Sie bohrt nach und bekommt den
Splitter schließlich zu fassen. Paul spürt, wie er sich mit einem letzten Ruck
löst und hinausgleitet.
»Da!«
Triumphierend hält Frieda den Übeltäter hoch und zeigt ihn Paul über ihre
Schulter hinweg, während sie seine Hand weiter festhält, ohne das Blut zu
bemerken, das jetzt auf ihren Rock tropft. »Oh nein«, sagt sie, als sie es
sieht, hebt schnell Pauls Hand an und nimmt seinen Finger in den Mund, als ob
es ihr eigener wäre. Paul erstarrt. Ihm wird warm. Sein ganzes Fühlen sitzt in
diesem einen Finger. Unter ihren warmen Lippen. Frieda lässt ihn frei. »So.
Alles wieder gut.«
»Entschuldige
bitte«, krächzt er und zeigt auf die roten Flecken in dem hellen Grau. Frieda
knickt ein wenig in der Hüfte ein, nimmt den Rock in beide Hände und breitet
ihn wie einen Flügel aus, während sie die Stellen begutachtet.
»Nicht so
schlimm. Da kommt nachher die Schürze drüber«, erwidert sie. Paul ist sicher,
dass sie die Röte sehen muss, die seinen Hals heraufkriecht und sich über seine
Wangen und die Stirn ausbreitet, aber Frieda schüttelt nur den Kopf. Ihr ganzer
Körper ist Lächeln, Freundlichkeit und Lebensfreude. Ihre Augen strahlen, die
Haut glüht, und Paul scheint es, als ob ein samtiger Schimmer darüber liegt.
Wieder schluckt er. Er kann nichts mehr sagen. Seine Kehle hält die Worte
gefangen, die er nicht zu denken wagt. »Bis später«, verabschiedet sich Frieda
und nimmt ihren Weg wieder auf. Sie muss sich beeilen, damit sie pünktlich ist.
Paul beobachtet das Wippen ihrer Röcke, bis sie sich so weit entfernt hat, dass
er blinzeln muss, um sie noch zu erkennen. Erst dann nimmt er den Griff des
Karrens hoch und macht sich auf den Weg zurück.
***
Sandra hustete und
murmelte undeutlich.
»Was?«
»Mir ist kalt.«
»Ja.« Ich zitterte, kroch in
mich zusammen, während ich neben ihr kniete, mich auf ihre leisen Worte
konzentrierte und das fahle Handylicht über die Stollendecke wanderte.
»So
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