Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eifler Zorn

Eifler Zorn

Titel: Eifler Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
Vom Netzwerk:
Leib,
»überlebst oder nicht? Ginge es dann um andere Dinge?«
    »Nein, nicht wirklich.« Sie
hustete. »Schaffst du es, mir zuzuhören?«
    »Ja.«
    »Versprich mir, auf Luisa
aufzupassen.«
    Ich nickte.
    »Er hat mir Schmerzen
zugefügt. Mir und Luisa.«
    ***
    Halb fünf. Judith
stöhnte, drehte sich auf die andere Seite und zog sich die Bettdecke über die
Schulter. Kai lag neben ihr auf dem Rücken, die Arme zur Seite ausgestreckt.
Atmete lautlos. Judith widerstand der Versuchung, ihn zu berühren. Sie wollte
ihn nicht wecken. Lieber beobachtete sie ihn, seinen Körper, die Konturen
seines Profils, seine Augenlider, die sichtbare bläuliche Ader, die unter
seinem Kinn ihren Ursprung hatte und wie ein Fluss hinter seinem Ohr im
Haardschungel verschwand. Einmal hatte sie, während sie seine Haare mit einer
Schermaschine auf Igelstachellänge zurückstutzte, den Lauf der Ader
weiterverfolgt, wie ein Kind mit dem Finger auf der Landkarte. Die Ader umrundete
beinahe den kompletten Schädel, bevor sie kurz vor der Stirn endete. Seitdem
nannten sie diese Ader seinen Gedankenfluss.
    Kai bewegte sich. Im Schlaf
wandte er ihr sein Gesicht zu. Sie beobachtete ihn weiter von ihrem Platz aus.
Still. Rührte sich nicht. Sie dachte an das erste Mal, als sie mit ihm zusammen
gewesen war. In seinem Wohnmobil. Er hatte sein Essen mit ihr geteilt. Einfache
Nudeln mit nichts als Parmesankäse und ein wenig Ketchup, den er zuvor aus der
Imbissbude mitgebracht und der in Alufolie eingewickelt auf dem Tisch zwischen
ihnen gestanden hatte. Sein erster Kuss, die Spontaneität und sein Mut, es
überhaupt zu versuchen, schien ihn selbst überrascht zu haben. Irgendwann
später hatte er ihr erzählt, nicht damit gerechnet zu haben. Nicht mit ihr
gerechnet zu haben. Nicht mit den zaghaften Berührungen. Zögernd und tastend,
als ob im Hintergrund immer das Warten auf ein Nein, auf die Zurückweisung, auf
den Sieg der Vernunft über die Begierde gelauert und den Augenblick bedroht
hätte. Sie waren verwundert gewesen über das, was sie einander bedeuten
konnten, obwohl sie beide gedacht hatten, nicht zueinander zu passen.
Unabhängig voneinander. Gemeinsam.
    Aus den langsamen Bewegungen
waren neue erwachsen. Mutigere. Forschende. Fordernde, schnelle, kraftvolle
Bewegungen. Sie war auf ihn geklettert, hatte ihn in Besitz genommen, ihn
gierig verschlungen, ohne den Hunger stillen zu können, diesen Hunger, der noch
in ihm wütete, als sie am nächsten Morgen erwacht waren. Er hatte ihre Hand
genommen und seine Wange darangelegt, war über sie gekrochen, ihren Bauch und
ihren Hals hinauf. Hunger. Aber da war in ihr bereits wieder die Vernunft
erwacht gewesen, hatte das Tier bezwungen und der Realität den Vortritt
gelassen.
    »Judith?« Sie schrak
zusammen. Kai sah sie an. Er war wach. Der Augenblick war vorbei.
    »Ja?« Sie beugte sich zu ihm
und streifte seine Wange mit ihren Lippen, zog seinen Kopf näher zu sich heran
und küsste ihn. Ihre Finger wanderten über seinen Bauch.
    »Judith?« Kai richtete sich
auf, stützte sich auf seinen Ellenbogen und rückte ein Stück von ihr ab.
Schlaftrunken rieb er sich über die Augen.
    »Ja?« Sie stoppte mitten in
der Bewegung.
    »Ich schlafe.«
    »Du bist wach.«
    »Das sieht nur so aus«,
knurrte er und legte einen Arm um sie, während ihm die Lider zufielen. Judith
rückte näher an ihn heran und schob ihr Bein zwischen seine. Ihr Körper
erinnerte sich an dieses erste Mal, wollte mehr. Sie küsste sein Kinn an der
Unterseite. »Später«, murmelte er und zog sie noch näher an sich heran, in die
Wärme und die Geborgenheit. Judith seufzte leise, wand sich aus seiner Umarmung
und stand auf. Der Laminatboden unter ihren nackten Füßen fühlte sich kalt an,
und sie fror. Sie fischte sein T-Shirt vom Stuhl, roch daran, zog es an. Der
dünne Stoff wärmte sie. Judith weckte den Computer aus dem Standby, in das er
gestern Abend gefallen war, und öffnete erneut die Seite mit den
Suchergebnissen. Sie probierte verschiedene Wortkombinationen aus, verfolgte
die Angaben, fand aber nur Einträge zum Ort Schwäbisch Gmünd, nicht zu Gemünd
in der Eifel.
    »Es muss doch noch mehr
geben«, murmelte sie leise und starrte auf den Bildschirm. Immer wieder kehrte
sie zu dem Artikel zurück. Sie klickte sich durch unzählige Seiten, jagte Namen
durch die Suchmaschinen, vergaß die Zeit.
    »Musst du nicht ins
Präsidium heute?« Kai hockte auf der Bettkante und rieb sich die Augen. Judith
drehte sich zu ihm um und

Weitere Kostenlose Bücher