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Eifler Zorn

Eifler Zorn

Titel: Eifler Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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kalt.«
    Zaghaft räumte ich einen
Stein von ihrer Brust. Dann noch einen. Ich wollte ihre Hand finden, ihre
Finger. Einen Teil von ihr, den ich berühren, festhalten und wärmen konnte.
    »Ina?«
    »Ja?« Ich starrte auf ihre
Lippen.
    »Da ist kein Gefühl. Ich
spüre nichts.«
    »Du bist verschüttet.«
Langsam arbeitete ich mich vor, immer auf der Hut, sie keinesfalls noch mehr zu
verletzen. Jede Bewegung, die ich machte, jede kleinste Regung verdrängte nach
und nach das Zittern aus meinen Muskeln. Das Dröhnen und Summen in meinen Ohren
nahm ab. Es verschwand nicht, war nach wie vor da, aber es wurde transparenter.
Wie eine Fensterscheibe, auf der der Lappen zwischen den Schlieren einzelne
saubere Streifen hinterlässt.
    »Es tut mir leid.«
    »Der Stollen ist
eingestürzt, Sandra, du kannst nichts …«
    »Es tut mir leid!« Ihr
Schrei ging in einen Hustenkrampf über. Sie rang nach Luft, und eine dünne
Blutspur lief aus ihrem Mundwinkel. Ich hob ihren Kopf ein wenig an. Mit
bebenden Fingern strich ich über ihre Wange. Feuchte, kühle Haut.
    »Schh …«, flüsterte
ich, »schh …«, weil ich nicht wusste, wie ich sie beruhigen sollte, und
räumte vorsichtig weitere Steine weg. »Schh …«
    »Ina, ich werde sterben.«
    »Unsinn. So schnell stirbt
man nicht.«
    Sie schloss die Augen und
öffnete sie gleich wieder mühsam, um mich anzusehen, während sie mit mir
sprach.
    »Dauert es lange?«
    »Mein Handy funktioniert
nicht hier drinnen. Kein Empfang. Es ist noch Nacht, und es wird etwas dauern,
bis sie uns vermissen.«
    »Luisa ist allein.«
    »Sie wird sicher Alarm
schlagen, wenn sie bemerkt, dass du nicht da bist.«
    »Sie darf nicht allein
sein.«
    »Sandra. Mach dir keine
Sorgen. Sie ist kein kleines Kind mehr. Ihr wird nichts passieren.«
    Sandra drehte den Kopf zur
Seite. »Ich muss für sie da sein.«
    »Das bist du doch.«
Vorsichtig legte ich meine Hand auf ihre Schulter. »Das bist du doch«,
flüsterte ich noch einmal.
    Der Stoff ihres T-Shirts
unter meinen Fingern fühlte sich feucht und warm an. Sie blutete an einer durch
die Steine verdeckten Stelle. Mit beiden Händen umfasste ich einen schweren
Brocken und biss die Zähne zusammen, während ich ihn hochhob und ihn ächzend
zur Seite schob. Sie schrie auf.
    »Es tut mir leid, Sandra.
Ich wollte dir nicht wehtun.« Ich griff wieder nach dem Handy. Die Wunde sah
nicht groß aus, nur ein kleines Rinnsal Blut sickerte stetig weiter. War es ein
Fehler gewesen, den Stein zu entfernen? Ich wusste es nicht. Ich wusste nichts.
Nicht, wie ich ihr beistehen konnte. Erstversorgung, dachte ich, zuerst die
Erstversorgung. Aber was sollte ich tun? Wenn ich sie bewegte und dabei noch
mehr verletzte? »Ich wollte nur helfen.«
    Sie nickte. »Danke. Aber es
ist zu spät.«
    »Nein.« Ich stand auf und
ignorierte den Schmerz in meinen Beinen und den Schwindel. »Ich werde jetzt
versuchen, den Ausgang frei zu bekommen. Dazu brauche ich die Lampe, und ich
werde ein Stück von dir weggehen, damit keine Brocken auf dich fallen und dich
noch mehr verletzen.«
    »Geh nicht weg, Ina.«
    »Ich bin da. Nur ein paar
Meter weit entfernt.« Ich trat zur Seite, beugte mich über den Schutt,
leuchtete die Fläche ab und überlegte, an welcher Stelle ich am effektivsten
vorankommen könnte.
    »Ich bin dabei gewesen, als
meine Großmutter gestorben ist. Sie hat im Bett gelegen. Kurz vorher wollte sie
noch aufstehen, obwohl sie es eigentlich nicht mehr gekonnt hat. Sie hat
ungeheure Kraft entwickelt, und wir mussten sie festhalten, damit sie nicht
fiel«, sagte Sandra in meine Richtung. Ich war nicht sicher, ob sie mit mir
sprach oder ob sie sich durch den Klang ihrer eigenen Stimme beruhigen wollte.
»Sie hat sich am Leben festgeklammert und wollte nicht loslassen. Ich war so
alt wie Luisa jetzt. Ein bisschen älter. Nicht viel. Vierzehn. Es hat mir Angst
gemacht, das zu sehen.«
    Ich ging wieder zu ihr und
hockte mich neben sie. Ihre Haut schimmerte blass und fahl. Unter meinen Füßen
glitzerte es. Die Lache an ihrer Schulter wuchs. Langsam zwar, doch sie
breitete sich immer stärker aus. Ich musste Hilfe holen, aber ich durfte sie
auch nicht zurücklassen.
    »Als meine Mutter gestorben
ist, dachte ich, es nicht aushalten zu können, sie tot zu sehen. Mein Bruder
war zu klein, erst zwei Jahre, aber ich war zwölf, und Hermann hatte mich
gefragt, ob ich mitkommen möchte, um mich von ihr zu verabschieden.« Ich
lächelte zaghaft.
    »Woran ist sie

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