Eifler Zorn
Kämpfer. Er wird
es schaffen.«
Paul
räuspert sich, bückt sich nach den Rüben und sammelt eine nach der anderen
wieder ein und legt sie in Friedas Korb.
»Ich
helfe dir«, sagt er schließlich, ohne dass Frieda ihn erneut bittet, rückt von
ihr ab und geht über den Hof zurück in die Werkstatt.
Paul
wartet. Alles ist still. Er horcht auf die Schritte, auf das Knarren des
Wagenrades, sein keuchendes Atmen. Sie haben Ludwig geschickt. Zum ersten Mal
ist er der Kohlenjunge. Aber Ludwig ist spät. Zu spät. Durch den Morgenfrost
schlägt die Kirchturmglocke sechsmal. Ist etwas geschehen? Ob sein Versprechen
nicht genug war? Ist er gegangen? Hat er ihn und Frieda zurückgelassen? Der
Frost beißt sich in sein Gesicht und in seine Hände. Bald ist Winter. Paul
tritt auf die Straße hinaus, blinzelt gegen die Dämmerung an, glaubt, in einiger
Entfernung einen Schemen zu erkennen. Er läuft los.
»Wo
bleibst du?«, herrscht er den Freund an, als er ihn erreicht hat, und verbirgt
seine Erleichterung hinter einer finsteren Miene. Statt einer Antwort zeigt
Ludwig hinter sich auf den Kohlewagen. Eine Gestalt sitzt auf dem kleinen
Kutschbrett, halb auf den Kohlen liegend. Den Kopf nach hinten geknickt, die
Kehle preisgegeben, mit offenem Mund.
»Ich hab
ihn aus dem Graben aufgesammelt. Der wär sonst erfroren.« Ludwig wischt sich
den Schweiß von der Stirn.
Paul
tritt näher an den Wagen heran.
»Löhbach?«
»Voll wie
tausend Haubitzen.«
Paul
betrachtet ihren schnarchenden Meister und stößt ihn an die Schulter. Löhbach
stöhnt und rutscht ein Stückchen tiefer. Paul greift zu, stützt ihn.
»Wir
müssen ihn ins Haus schaffen.«
»Ehrenscheid!
Weber!«
»Ja.«
Ludwig nimmt Haltung an. Paul dreht sich in die Richtung der Stimme.
»Was
treibt ihr da?« Der Direktor.
»Ich war
auf dem Weg, die Kohlen zu holen, und habe Herrn Löhbach gefunden. Er muss wohl
gestürzt sein und …«
»Ich
sehe. Ich sehe.« Der Direktor kommt näher, betrachtet Löhbach. Er beugt sich
über ihn, schnuppert und hebt eine Augenbraue. »Wachen Sie auf, Mann!«, dröhnt
er ihm ins Ohr. »Machen Sie, dass Sie ins Haus kommen und Ihren Rausch
ausschlafen.«
Löhbach
blinzelt, rappelt sich hoch. Er erkennt den Direktor, sieht Ludwig.
»Das wird
Konsequenzen haben!«, donnert der Direktor und wendet sich ab.
***
»Es kostet weniger
Kraft, es auszuhalten, als zu gehen.« Sandra leckte sich über die Lippen. »Ich
weiß, dass es lachhaft ist, aber ich bin nicht die Einzige in meinem
Freundeskreis, die länger in einer Beziehung bleibt, als ihr guttut.«
Ich setzte mich auf den
Boden neben ihrem Kopf. Ich wollte ihr Gesicht sehen. Nicht lachhaft. Ganz und
gar nicht.
Durch einen schmalen Spalt
drang mattes Licht in den Stollen. Tagesanbruch. Der Eingang lag verdeckt unter
überhängenden Felsvorsprüngen tief im Schatten. Unter Umständen war es auch
später, früher Morgen oder Vormittag. Jegliches Zeitgefühl war mir
abhandengekommen.
»Ich war nie ein
Männerschwarm. Er hatte drei Mädels an jedem Finger. Aber er hat mich ausgesucht. Als er das erste Mal fortmusste, zu einer
Fortbildung, kurz nachdem wir zusammengekommen sind, hat er mich jeden Tag zu
Hause angerufen. Er hat sich gekümmert, wollte wissen, was ich tat und mit wem
ich zusammen war. Jede Minute des Tages sollte ich ihm schildern. Auch als wir
zusammenzogen, blieb das so.« Sandra seufzte. »Zuerst war es schön und hat mir
geschmeichelt, aber er hat mehr und mehr Kontrolle über mein Leben bekommen. Er
entschied, mit wem, wann und wie lange ich mich verabreden durfte. Meistens
ging das nur, wenn er nichts von mir wollte. Ich musste aber auch Treffen
absagen, weil ihm plötzlich einfiel, ins Kino zu wollen. Er war mein Mann und
wichtiger als irgendwelche Fremden, wie er sie nannte. Er war so eifersüchtig.
Einfach nicht mehr auszugehen war die leichteste Lösung.«
Durch den Stoff meiner Hose
zog die Feuchtigkeit, und Steinspitzen bohrten sich in mein Fleisch. Behutsam
verlagerte ich mein Gewicht, ich wollte sie nicht unterbrechen.
»Ina?« Sie sah mich an.
Tränen liefen über ihre Wangen und zogen Furchen durch den Staub auf ihrer
Haut.
»Ja?«
»Versprich es mir.« Sie
schluchzte. »Versprichst du es mir? Bitte! Luisa darf nichts geschehen.« Ich
legte meine Hand auf ihre Schulter. »Meine größte Angst war immer, dass sie
mich findet, blutüberströmt auf dem Küchenboden liegend, mit eingeschlagenem
Schädel. So ein Bild könnte sie nie wieder
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