Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eifler Zorn

Eifler Zorn

Titel: Eifler Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
Vom Netzwerk:
vergessen.«
    »Warum sollte sie dich so
finden?«
    »Weil er mich umgebracht
hätte. Irgendwann.«
    »Arno hat dich geschlagen.«
    »Ja.«
    »Hast du dich gewehrt?«
    »Nein.« Sie schluckte.
»Zuerst nicht.«
    Warum nicht?, wollte ich
fragen, aber sie kam mir zuvor.
    »Beim ersten Mal, als ich zu
spät von einer Dienstbesprechung zurückkam, kassierte ich Prellungen,
geschwollene Wangen und ein blaues Auge«, erklärte sie und lachte leise. »Ich
habe mich krankgemeldet. Wie hätte ich es vor den Kollegen verbergen sollen? Es
tat ihm leid. Sehr leid. Er hat sich entschuldigt, mir Blumen mitgebracht, mich
versorgt. Er war nett. So nett.« Sie starrte an die Decke. »Liebevoll,
zärtlich. Ein wunderbarer Liebhaber.«
    »Du bist bei ihm geblieben.«
    »Er war mein Mann, Ina. Ich
hatte Hoffnung. Ich gab mir Mühe.«
    »Womit?«
    »Ich sollte ihn nicht
reizen, und ich versuchte es. Es war ja meine Schuld. Wenn ich mich richtig
verhielt, hatte er keinen Grund, sich zu ärgern und mich zu schlagen. Vor
allem, als Luisa da war. Er hatte sich eine Tochter gewünscht, und ich habe ihm
seinen Wunsch erfüllt.«
    Ich biss mir auf die Lippe.
Hier waren nicht der Ort und die Zeit, um Sandra klarzumachen, dass nicht sie
die Ursache dafür war, dass Arno sie schlug. Dass es nicht ihr Verhalten war,
was ihn provozierte, und dass nicht sie die Verantwortung trug. Die lag
ausschließlich auf seiner Seite. »Hat er Luisa auch geschlagen?« Bilder
tauchten vor mir auf. Luisa. Still. In sich gekehrt. Mit einer Bedrücktheit im
Blick, die ich für typische Teenagermelancholie gehalten, in der ich nie den
Hilferuf erkannt hatte.
    »Ja. Und er hat …« Sie
hustete wieder. Tief in ihrem Körper gurgelte etwas. Sie riss die Augen auf,
rang nach Luft, während ich ihren Kopf stützte, sie an den Schultern fasste und
versuchte, ihr das Atmen zu erleichtern. Der Hustenanfall ebbte ab, und erneut
lief ein dünner Blutfaden aus ihrem Mund. Ich musste mich vorbeugen und mein
Ohr nah an ihr Gesicht bringen, damit ich sie verstehen konnte. Die Worte kamen
leise, aber sehr bestimmt, sie musste sie loswerden, weil sie Angst hatte, zu
sterben und sie ungesagt zu lassen. »Er hat sie in einer Kiste eingesperrt,
vergraben und erst nach Stunden befreit. Mehrmals. Sie sollte lernen, ihn nicht
so zu provozieren, wie ich das immer tat.«
    Das Gefühl der Enge in
meiner Brust nahm mir die Luft. Was hatte sich da direkt vor meinen Augen
abgespielt, ohne dass ich es gesehen hatte? Wie blind war ich gegenüber dem
gewesen, was sich in Zeichen und Hinweisen gezeigt hatte, ohne dass ich sie
gedeutet und geholfen hätte.
    Das Sprechen strengte Sandra
an. Ihre Lider sanken herab. Mit geschlossenen Augen sprach sie weiter.
»Erinnerst du dich an meinen letzten Geburtstag?«
    »Ja«, murmelte ich leise und
kramte in meiner Erinnerung. Sie hatte einen Kuchen mitgebracht, von dem ich
aber nichts abbekommen hatte, weil ich zu einem Einsatz musste und bei meiner
Rückkehr nur noch Krümel übrig waren.
    »Hansen hatte mir Blumen
überreicht.«
    »Wie er es bei jedem macht.«
Es war nichts Großartiges, nur eine kleine Geste der Anerkennung. Ein paar
Blümchen und manchmal noch ein kleines Präsent, ein Buch oder eine Schachtel
Pralinen.
    »Arno hat mir Ohrfeigen zum
Geburtstag geschenkt und mir unterstellt, ich hätte ein Verhältnis mit Hansen.
Ich musste die Blumen in die Mülltonne werfen, und zur Strafe hat er Luisa noch
länger in der Kiste gelassen. Es war Hochwasser. Die Grube lief voll. Luisa
wäre fast ertrunken.«
    »Warum hast du nie etwas
gesagt?«
    Sie riss die Augen auf und
heftete den Blick auf mich. »Was hättet ihr denn machen können? Ihn anklagen?
Ihn festnehmen? Und dann? Ich wäre allein mit Luisa gewesen, eine
alleinerziehende Mutter mit dem Gehalt einer Teilzeitschutzpolizistin.
Großartig. Ganz großartig. Kannst du mir sagen, wie das hätte funktionieren
sollen?«
    »Du bist bei ihm geblieben
wegen des Geldes?« Ich war fassungslos, verstand nicht, was eine intelligente
Frau dazu trieb, bei so einem Mann zu bleiben. Doch sie war nicht das erste
Opfer häuslicher Gewalt, dem der Absprung allein nicht gelang, das es noch
nicht einmal schaffte, den Mut zusammenzunehmen und um Hilfe zu bitten. In
meiner Zeit bei der Kölner Polizei hatte ich mehr als eine Frau erlebt, die,
selbst zerschunden und zerschlagen, die Schuld für die Brutalität ihres Mannes
bei sich suchte. Solche Typen vollbrachten es immer, ihre Frauen
fertigzumachen, ihnen jede

Weitere Kostenlose Bücher