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Eigentlich bin ich eine Traumfrau

Eigentlich bin ich eine Traumfrau

Titel: Eigentlich bin ich eine Traumfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Seidel
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Täuschung handelt. Ich habe mal im Unterricht gelernt, dass eigentlich farbloses Wasser alle Farben des Sonnenlichts bis auf die blaue verschluckt. Ich versuche meiner Mutter diese naturwissenschaftliche Sensation zu vermitteln, aber die verzieht gerade angewidert das Gesicht, weil sie eine Moräne entdeckt hat.

    A ls Erstes mieten wir uns auf der Insel ein Golfcart, um sie vollständig zu überqueren. Sie ist allerdings auch nur sieben Kilometer lang und einen halben Kilometer breit. Mit begeistertem Kichern lenkt meine Mutter das Gefährt, als säße sie in einem Autoscooter. Ich hatte glatt vergessen, dass sie gar keinen Führerschein besitzt. Und bei aller neu gefundenen Lässigkeit und der mexikanischen Liebe zu Totenfeiern hänge ich doch noch so sehr an meinem Leben, dass ich meine Mutter nach zehn Minuten bitte, das Steuer übernehmen zu dürfen.
    An einer kleinen Bucht, die ohne weiteres aus der Rumreklame stammen könnte, machen wir Halt, rollen unsere Bambusmatten auf dem feinen, hellbeigefarbenen Sand aus und lassen uns fallen. Weit und breit ist kaum ein Mensch zu sehen, vielleicht weil es Mittagszeit ist und alle Siesta halten. Ich wende meine geschlossenen Augen der Sonne zu und nehme sie hinter dem Lid als warme rote Farbe wahr. Wenn ich blinzele, sehe ich über mir das helle Licht, gebrochen durch die Palmenzweige. Warum kann ich nicht einfach hierbleiben? Ich fühle mich so friedlich, als wäre alles möglich und nichts unbedingt notwendig. Ich versuche, mir den Moment ganz fest einzuprägen – für die schlechten Zeiten, die sicher kommen werden – und ihn in einer Geste einzuschließen. Ganz fest presse ich die Kuppe meines Daumens gegen die des Zeigefingers. Wenn ich das in Deutschland wiederhole, vielleicht ist dann auch das Gefühl wieder da. Dann schlafe ich ein. Als wir aufwachen, müssen wir uns beeilen, die Fähre zurück zu erwischen, damit wir am nächsten Morgen nicht den Flieger verpassen.

    Aus dem gleichen Grund wollte ich in Cancún direkt ins Bett gehen. Aber weil ich meiner Mutter an unserem letzten gemeinsamen Abend den Spaß nicht verderben möchte, lasse ich mich überreden, noch einen letzten kleinen Abstecher in die Hotelbar zu unternehmen. Was soll da schon groß passieren?
    Ja, was schon. Karaoke-Abend, natürlich. Gerade singen drei Mädchen im Partnerlook – weiße Miniröcke und goldene Glitzergürtel auf der Hüfte – »It’s raining men« von den Weather Girls. Zu ihrem Glück sind sie schlanker als ihre gesanglichen Vorbilder, ihre Stimmen quietschen dafür, als würde man ein Messer am Porzellanteller schleifen. Ich zerre meine Mutter ein paar Meter weiter zur Bar, damit sie gar nicht erst auf die dumme Idee kommt, die Bühne entern zu wollen. Wir bestellen uns Mojitos und rühren schweigend mit dem Strohhalm in den Gläsern, noch etwas ausgelaugt vom süßen Nichtstun auf der Insel. Da gesellt sich auch schon der Milchbubi zu uns, der sich im Schwimmbecken erbrochen hatte. Argwöhnisch untersuche ich sein Gesicht nach Spuren von zu viel Alkohol oder verdächtiger Blässe. Er macht aber einen halbwegs nüchternen Eindruck. Er stellt sich ganz nah zu meiner Mutter und flüstert ihr etwas ins Ohr. Ich werde sofort wieder nervös. Doch sie lacht nur schallend und ohne jede Koketterie. In radebrechendem Englisch gibt sie ihm zu verstehen, dass es für ihn Zeit sei, ins Bettchen zu gehen. Sehr gut. Sie ist wirklich vernünftiger, als ich es bis zu diesem Urlaub angenommen hatte. Im Gegensatz zu ihr besteht der jugendliche Verehrer die Reifeprüfung nicht. Er flüstert mit dem Typen am Karaoke-Stand, um kurz darauf ins Mikro zu röhren: »And
here’s to you Mrs. Robinson, Jesus loves you more than you will know.« Dabei wirft er meiner Mutter waidwunde und vorwurfsvolle Blicke zu. Er schafft nur den Refrain. Zwischendrin schüttet er sich noch mehr Bier in den Rachen und auf sein Hemd. Selbst die so Angesprochene, die sonst eher wenig erschüttert, wirkt nun etwas peinlich berührt. Sie sinkt tiefer in ihren Hocker, verbirgt ihre Augen in der Handfläche und bestellt noch zwei Mojito. Ich bin schlagartig betrunken, wegen der Hitze vermutlich. Meine Mutter auch. »Schade, dass wir morgen früh schon wieder nach Hause fahren«, sagt sie. »Aber warte mal, ich habe eine gute Idee. Das wollte ich schon immer

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