Eigentlich bin ich eine Traumfrau
Supermarkt könnte ich jedes Mal in Tränen ausbrechen. Als ich mit Alexander zusammen war, sah der Inhalt meines Einkaufswagens ganz anders aus: teurer Rotwein, Erdbeeren, Biofleisch und Gemüse für romantische Dinners bei Kerzenschein. Nun liegen da Riesenbohnen samt TomatensoÃe in der Dose, billiger Prosecco und Schokoküsse.
Auf dem Gipfel meiner depressiven Verstimmung angelangt, stehe ich an der Tiefkühltruhe plötzlich ausgerechnet André gegenüber. Den hatte ich schon ganz vergessen. Gesehen habe ich ihn nicht mehr seit â seit ich mich ihm damals am Kaffeeautomaten beinahe an den Hals geschmissen hätte. Na ja, das ist vielleicht ein wenig übertrieben. Eigentlich habe ich mich nur auf einen Kaffee einladen lassen.
»Hallo, André«, sage ich ein wenig verlegen.
»Hallo, Juli.« Er scheint sich aber ernsthaft zu freuen, zumindest zieht er seine Mundwinkel leicht nach oben.
Eifrig schiebt er seinen Einkaufswagen um die Truhe herum. Dann sehen wir beide betreten auf die jeweiligen Errungenschaften für den schlecht sortierten Single-Haushalt. Bei ihm sind es Thunfisch-Pizza und â so etwas Ausgefallenes hätte ich ihm gar nicht zugetraut â Bier mit Tequila-Aroma.
»Ich glaube, ich muss dich mal zum Essen einladen«, sagt er mit monotoner Stimme.
Nun weià ich, was mich immer an ihm gestört hat: Ihm fehlt es an Charme und Humor. Ich habe ihn noch nie richtig lachen hören. Und zu so einer spontanen Einladung
zum Essen wäre doch zumindest ein kleines Lächeln nicht unangebracht.
»Oh, nur keine Mühe! Wie du siehst, habe ich alles, was ich brauche«, sage ich und deute zwinkernd auf meinen Einkaufswagen.
Er lächelt immer noch nicht.
»Sag doch einfach, dass du keine Lust hast, mit mir essen zu gehen, Juli.« Immer noch dieses klanglose Leiern.
Himmel, ist das unangenehm. Selbst wenn er den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hat, muss er doch nicht gleich die Planierraupe einsetzen, um mir zu zeigen, dass er mich durchschaut hat. Er muss doch wissen, dass man manche Dinge nicht ausspricht, sondern nur über Andeutungen kommuniziert.
»Aber so ist es doch gar nicht, André. Ich habe nur gerade nicht so viel Zeit. Und â¦, um die Wahrheit zu sagen, ging es bei mir in letzter Zeit drunter und drüber, ich brauche im Moment ein bisschen Zeit für mich und möchte keine Abendverabredungen mit Männern.«
So, das war jetzt schon mehr Ehrlichkeit, als er verdient hat. Ich fühle mich ihm ein wenig verpflichtet â wegen der Sache am Kaffeeautomaten.
»Verstehe, dann einen schönen Abend noch«, sagt er knapp und trabt mit seinem Einkaufswagen zur Kasse. Ich wanke erschöpft nach Hause, um im neuen Trott meiner Tage weiterzuarbeiten und die Einsamkeit des Autors am Schreibtisch zu pflegen.
Am schlimmsten sind die Wochenenden. Da erscheint mir diese Einsamkeit fast zu kolossal für mich allein. Immer wieder ertappe ich mich dabei, dass ich in meinen
Schreibpausen die Orte aufsuche, an denen ich mit Alexander war. Natürlich hoffe ich auf so etwas wie Schicksal. Dass er plötzlich vor mir auf einer Parkbank oder in einem Café sitzt, mich ansieht und einfach in seine Arme nimmt. Nur die letzte Demütigung verkneife ich mir: abends an seiner Wohnung vorbeizugehen und nachzusehen, ob Licht brennt. Dass ich ihn nie treffe, löst in mir schreckliche Tagträume aus. Als gäbe es nur zwei Möglichkeiten: dass er entweder dort ist, wo ich gerade nach ihm suche, oder in den Armen einer anderen Frau. Es sind immer wieder die gleichen Bilder und Fragen, die in meinem Kopf rotieren. Ob das schon krankhaft ist? Im Zeitlupentempo lasse ich immer wieder den Abend, an dem er sich von mir getrennt hat, vor meinem inneren Auge ablaufen. Was wären die magischen Worte gewesen, die ihn zurück in meine Arme gebracht hätten? Vermutlich gibt es sie gar nicht, und wenn sie mir jetzt einfielen, würden sie mir auch nichts mehr nützen. Ich hätte ihn einfach nicht belügen dürfen. Ich hätte einfach nicht an dieses verdammte Telefon gehen dürfen. Langsam habe ich den Verdacht, dass dies die zentrale Frage eines jeden menschlichen Lebens ist: Was wäre gewesen, wenn? Meinen Freunden erzähle ich vorsichtshalber nichts von diesen Spinnereien. Könnte ich auch gar nicht. Die sind an den Wochenenden damit beschäftigt, mit ihren Partnern zu kochen und zu
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