Eigentor für Moritz
Stirn gegen die schräge Wand über dem Bett. Das wird eine schöne Beule geben, aber darum kann er sich jetzt nicht kümmern. »Kein richtiger Stürmer? Und wer hat dann in der Hinrunde fünfzehn Tore geschossen? Kannst du mir das vielleicht mal sagen?«
Rebekka schraubt den Füller zu und schiebt ihn umständlich ins Mäppchen zurück.
»Und dann die Vorlagen, für Olli, für Elena … Wer hat die wohl geliefert?«
»Du!«, sagt Rebekka unbeeindruckt. »Davon rede ich doch die ganze Zeit. Weil du mit deinen blitzschnellen Vorstößen und gefährlichen Pässen jede Abwehr durcheinanderwirbeln kannst.«
»Na ja, so macht ein Stürmer das eben.«
Rebekka winkt ab. »Schau dich mal um in der Bundesliga. Stürmer gibt es mehr als genug. Aber einer für die linke Seite, ein Dampfmacher, der rauf und runter flitzen kann, dazu ein starker linker Fuß, so einen nimmt jeder große Club mit Handkuss.«
»Aber …«
Rebekka lässt Moritz nicht zu Wort kommen. »Die linke Außenbahn gehört dir. Die musst du beackern, von Grundlinie zu Grundlinie. Das ist deine Chance. Ach, übrigens: 337 ein halb.«
»Hä?« Jetzt versteht Moritz nicht mal mehr Bahnhof.
»Der Fensterputzer. Er braucht 337 und eine halbe Stunde. Ich hab dir die Rechenschritte aufgeschrieben.«
Der Großvater steckt seinen Kopf zur Tür herein und fragt: »Wollt ihr etwas trinken?«
»Nein, vielen Dank! Ich muss jetzt los. Also tschüss!«
Schon ist sie verschwunden und lässt Moritz mit einem Chaos im Kopf zurück. Da hat er nun sein ganzes Leben lang gedacht, er sei ein Stürmer. Doch dann kommt Miss Neunmalklug persönlich und will alles besser wissen. Aber was sie sagt, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Moritz möchte sich bewegen, rennen bis die Stollen qualmen. Das Leben eines Strafraumwühlers, wie Olli es führt, der seinen geliebten Strafraum nur mal verlässt, um der Abseitsfalle zu entgehen – nein danke, das wäre Moritz viel zu langweilig. Aber die linke Außenbahn als Sprungbrett in die Bundesliga? Da könnte was dran sein. Tatsächlich gibt es auf dieser Position nicht sehr viele gute Leute.
»Was wollte sie?«, erkundigt sich der Großvater.
Genau darüber grübelt Moritz selber. Sucht sie wirklich die beste Formation für Blau-Gelb? Wollte sie Moritz einen ehrlich gemeinten Karrieretipp geben?
»Sie wollte mir bei Mathe helfen«, murmelt Moritz zerstreut.
Aber vielleicht gab es auch noch einen ganz anderen Grund für ihren Besuch. Friede, Freude, Eierkuchen. Sie schläfert ihn mit ihrem Geschwätz ein, ein bisschen Blabla, und schon räumt er freiwillig seinen Platz für diesen spanischen Halbweltmeister. So hat sie sich das gedacht. Aber Moritz hat sie durchschaut. Pech für sie! Er ist Stürmer und er bleibt Stürmer. Und dieser Roberto wird sich die Zähne an ihm ausbeißen
Der Großvater schaut in Moritz’ Heft und nickt anerkennend. »Rebekka ist ziemlich schlau«, lobt er.
»Hhm«, brummelt Moritz. »Aber leider nicht schlau genug.«
Zeit lassen
E s klingelt Sturm. Ja, Mann, schon gut, Moritz ist unterwegs. In Zeitlupe schlendert er die Treppe hinunter.
»Wo bleibst du denn?«, begrüßt Mehmet ihn vorwurfsvoll. »Wir stehen uns hier die Beine in den Bauch.«
»Hab dich nicht so. Denk mal dran, wie oft du mich warten lässt.«
»Weil Mehmet ein Faulpelz ist«, erklärt Enes altklug. »Aber du willst sonst immer der erste sein beim Training.«
Ja, sonst … Aber heute wird dieser Roberto dort auftauchen. Deshalb hält sich Moritz‘ Begeisterung in Grenzen. Was, wenn Norbert von ihm genauso hingerissen ist wie die anderen? Wenn er ihn gleich zum Stürmer Nummer eins macht, der immer gesetzt ist? Dann wird Moritz gute Miene zum bösen Spiel machen müssen. Einen Stinkstiefel kann keine Mannschaft vertragen, und auch wer auf der Bank sitzt, darf höchstens ganz leise mit den Hufen scharren.
Aber halt, noch ist ja gar nichts entschieden. Kampflos wird Moritz sich jedenfalls nicht geschlagen geben. Mit Vollgas den ungeliebten Konkurrenten abhängen, das muss das Motto sein. Also los!
»Hey!«, mosert Mehmet. »Erst kommste nicht aus dem Quark, und dann rennste wie ein Irrer.«
»Tempowechsel, mein Lieber. Eine Methode, den Gegner zu verwirren. Aber davon hat ein Torhüter, der immer nur faul in seinem Gehäuse hockt, natürlich noch nichts gehört.«
Mehmet will etwas erwidern, aber eine neue Tempoverschärfung macht ihm zu schaffen und er hält die Klappe.
Von Trainingsbeginn an drückt Moritz auf die Tube.
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