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Ein Abend im Club

Ein Abend im Club

Titel: Ein Abend im Club Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gailly
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Schriftsteller sein wollen und bin Maler. Nun, lassen wir das.
    Ein nüchternes, gesundes Leben. Er hatte dem Jazz den Rücken gekehrt. Nährte sich ausschließlich von klassischer Musik. Er habe, so sagte er mir, das entdeckt, was er die Schönheit in der Musik nannte und was, seiner Auffassung nach, nicht im Jazz zu finden sei.
    Ich war überhaupt nicht seiner Meinung. Wenn ich Charlie Parker Lover Man spielen höre, sagte ich ihm, oder Coltrane Naima oder Ornette Coleman Lonely Woman, dann ist es genau das, was ich höre, Schönheit.
    Nein, antwortete Simon. Er sagte: Das ist bewegend, sogar verstörend, aber schön, nein, keinen Augenblick lang habe ich dieses Gefühl, die Schönheit, die ich meine, gehört in eine andere Empfindungswelt.
    Die ganze Nacht redeten wir darüber. Er brachte mich auf, er störte mich in unseren Gewohnheiten, und das machte mir Kummer, muss ich gestehen. Er entglitt sich, er entglitt mir, und das war mir zuwider. Sein Empfindungsvermögen hatte einen anderen Weg gefunden, das verstimmte mich. Ich wollte, dass er ein Jazzer war und sonst nichts. Sozusagen an meiner statt. Vielleicht träumte ich davon, Jazzmusiker zu sein. Nicht Maler oder Schriftsteller, Jazzmusiker.
    Ich schweife ab, mögen manche meinen. Nein, sage ich ihnen. Wäre ich in Bezug auf Simon weniger gespalten gewesen in meinem ewigen Neid auf ihn, wäre ich sicher Suzanne gegenüber fester aufgetreten.
    Lass ihn ein wenig in Ruhe, hätte ich ihr gesagt, hätte ich ihr sagen sollen: Lass ihm Luft zum Atmen, lass ihn leben, lass es ihn versuchen, er muss sich vergewissern, ob er nicht einen Fehler gemacht hat. Stattdessen sagte ich ihr: Du hast Recht, hol ihn ab.
    Und noch etwas zu meiner Entlastung. Ich spreche mich so gern frei. Ich musste mich einfach daran erinnern, dass Simon zehn oder fünfzehn Jahre zuvor ohne sie, Suzanne, ohne ihr Handeln, ihre prompte Reaktion, ohne ihre Rettungsaktion zweifellos in jenem schäbigen kleinen Zimmer gestorben wäre, sturzbetrunken und mit Drogen voll gestopft hätte er sich umgebracht, und deshalb wiederholte ich noch einmal vor dem Auflegen: Ja, meine liebe Suzie, hol ihn schnell ab.

16.
    So schnell wie möglich. Mit so wenigen Unterbrechungen wie möglich. Gar keiner, wenn möglich. Es war möglich. Tags zuvor hatte sie voll getankt. Sie würde nicht nachtanken müssen. Der Wagen hatte einen geringen Verbrauch und Suzanne eine sparsame Fahrweise. Sie praktizierte, was Simon den Taxifahrerstil nannte.
    Aber die Nerven lagen trotzdem blank. Sie konnte ihre Reisetasche nicht mehr finden. Die kleine für die kurzen Reisen. Als sie endlich gefunden war, wusste Suzanne nicht, was sie einpacken sollte.
    Simon war ganz ohne Gepäck losgefahren. Er braucht Sachen zum Wechseln, dachte sie. Falls er sich schmutzig macht. Ich packe eine Hose ein. Dann, als sie Unterwäsche aus Simons Schublade holte, T-Shirt und Unterhose, stieß sie auf eine alte Badehose, eine rote, wenn ich nicht irre.
    Ich bringe ihm seine Badehose mit, dachte sie, falls er Lust hat, schwimmen zu gehen. Und ich? Nehme ich meinen Badeanzug mit? Nein, ich bin zu hässlich. Ich habe keine Lust, meine dicken Oberschenkel zur Schau zu stellen. Oder doch, warum nicht, ich packe ihn trotzdem ein. Man kann nie wissen. Falls wir ein stilles Eckchen finden.
    Die Vorstellung, mit Simon im Meer zu schwimmen, begann ihr zu gefallen. Sie vergaß die Gefahr. Simon war nicht mehr in Gefahr. War es nie gewesen. Wäre er es, dann wäre sie schon da, dort unten, bei ihm.
    Sie packte auch etwas zum Wechseln für sich selbst ein. Dachte an Simons Rasierapparat. Seine Zahnbürste. Ihre eigenen Kosmetika. Make-up und so weiter. Schloss die Tasche. Stützte die Hände in die Hüften und dachte nach.
    Ach ja, der Kater. Sie machte sich Gedanken um Dingo. So hieß der Kater. Ihr Sohn, Jamie Nardis, hatte ihn Dingo genannt, weil er sich als ganz kleines Kätzchen aufführte wie ein Verrückter, wie alle kleinen Katzen, stimmt, ja, aber dieses.
    Suzanne ging davon aus, dass sie etwa achtundvierzig Stunden unterwegs sein würde. Sie rief ihren Sohn an und bat ihn, sich um Dingo zu kümmern. Ihn zu füttern. Die Streu im Katzenklo zu wechseln. Ihm Gesellschaft zu leisten. Dingo hasste es, wenn man ihn allein ließ.
    Nein, sagte sie, dein Vater ist noch nicht zurück. Er hatte noch keine Lust, nach Hause zu kommen. Es gefällt ihm am Meer. Er hat mich gebeten, zu ihm zu kommen. Ich fahre hin. Gleich fahre ich los. Deshalb rufe ich an.
    Das ist alles

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