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Ein Abend im Club

Ein Abend im Club

Titel: Ein Abend im Club Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gailly
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dir unter die Haut. Dieses »du« brachte Simon noch mehr durcheinander.
    Dieses leicht verzögerte »du« schien daran zu erinnern, dass etwas passiert war. Schien es auszusprechen, zu bestätigen. Es ließ sich nicht mehr daran zweifeln. Wie in jenem Film, der Simon wieder einfiel. Vor der Nacht siezen sich zwei Liebende. Für die Nacht verliert man sie aus den Augen. Nach der Nacht duzen sie sich. Man begreift, dass sie sich geliebt haben. Das ist elegant, diskret, es spielte in einem Zug.
    Ich nehme den nächsten nicht, sagte Simon. Debbie strich sich das nasse Haar glatt und streckte sich dann auf dem Handtuch aus. Die Sachen stehen dir gut, sagte sie. Hörst du? Ja, sagte Debbie, ich höre, dass du bei mir bleibst. Nein, sagte Simon, Suzanne kommt zu uns, zu mir und damit auch zu dir.
    Sie kommt. Sie kommt bald. Mit dem Wagen. Sie wird gegen 18 oder 19 Uhr hier sein. Sie will, dass ich aufhöre, Züge zu verpassen. Sie weiß es. Sie hat gespürt, verstanden, wenn ich hier bleibe, bei dir, werde ich sie immer weiter verpassen, dann fängt alles von vorn an. Sie hat Angst.
    Debbie fragte: Wie spät ist es? Simon, der neben ihr saß, beugte sich vor, streckte den Arm nach seiner Jacke aus, suchte in einer Tasche, zog seine Armbanduhr heraus, verkehrt herum, er drehte sie um, dann, mit gesenktem Kopf: 13.45 Uhr.
    Debbie sagte: Fein, dann haben wir noch vier Stunden, vielleicht sogar fünf. Sie richtete sich auf: Küss mich. Er küsste sie. Und als er sie küsste, kam ihm dieser seltsame Gedanke. Ich weiß nicht, woran es lag, erzählte er mir, vielleicht am Geschmack der Lippen, dem Salz, der wieder zum Vorschein gekommenen Sonne, der Hitze, der stillstehenden Zeit. Welcher Gedanke?, fragte ich.
    Der Gedanke, dass diese vier Stunden Freiheit immer existiert hatten, dass sie nie angefangen hatten und daher auch nicht aufhören konnten, ein Ende ohne Ende, gewissermaßen, ein Anfang ohne Ende. Er habe gedacht: Ich habe dich immer geliebt.
    Sie fragen. Debbie. Er war versucht, es zu tun. Um zu wissen, ob auch sie es spürte. Verzichtete darauf, wagte es nicht. Die Angst, sie nein sagen zu hören. Eigenartig, sagte sie, dieses Gefühl, dich schon seit je zu kennen, so etwas habe ich noch nie empfunden. Sie blickte sehr ernst aufs Meer. Was wollen wir machen, fragte sie, mit diesen vier, vielleicht fünf Stunden?
    Beim »vielleicht fünf« musste sie lachen. Sie sah Simon an, zeigte ihm ihr Lachen, dann ihr Lächeln: Was möchtest du gern? Die Flut steigt, sagte Simon, sie kommt bald hier an, gehen wir: Was meinst du, ob du mir eine Unterhose kaufst?

15.
    Bei mir war auch Samstag. Bei mir war das Wetter auch schön. Anfang Juni sind das Haus und der Park wirklich herrlich. Mit dem Sommer kommen auch die Freunde wieder. Nur die ganz alten, die wenigen Getreuen, machen sich auch im Winter auf den Weg. Simon gehörte zu diesen Wenigen. Diesen insgesamt zwei oder drei. Nicht mal. Ein oder zwei. Eigentlich war er der Einzige, der bereitwillig in meinem großen und schlecht geheizten Haus fror. Es war übrigens Winter, als er zu mir kam, um mit mir über seine Heirat mit Debbie zu sprechen. Er wollte meine Meinung dazu hören.
    Auch Suzanne wollte meine Meinung hören, als sie um 13.30 Uhr anrief. Ich konnte mich nicht recht auf sie konzentrieren. Ich hatte Gäste. Die sich ab Juni wieder meiner Existenz erinnern und sich sagen, dieses lange Wochenende könnten wir doch prima auf dem Land verbringen. Ich freue mich über ihren Besuch. Ich langweile mich, so allein im Schnee.
    Jeanne hatte das Gespräch angenommen, dann holte sie mich. Ich folgte ihr in ein Nebenzimmer. Die nächstgelegene Möglichkeit zu ein wenig Privatheit. Es ist Suzie, sagte sie, sie wirkt aufgebracht. Sei nett zu ihr, red mit ihr. Simon ist immer noch nicht wieder zu Hause, dachte ich und nahm das Telefon.
    Suzie hatte mich schon zweimal aus demselben Grund angerufen. Ich fühlte mich sehr unwohl. Nämlich gespalten. Ich freute mich für Simon, Suzanne tat mir Leid. Sie hat Recht, sagte ich mir und verstand zugleich Simon.
    Simon ging ein vor Traurigkeit, das lag auf der Hand, aber zugleich schien ihm das Leben, das er führte und schon so lange führte, dieses Ingenieurleben, ich wage es kaum auszusprechen, absolut zu liegen.
    Die so genannte Berufung täuscht uns immer wieder. Ich weiß, wovon ich rede. Man glaubt sich für die eine Sache geschaffen. Man ist es für die andere. Und selbst das nicht unbedingt. Ich zum Beispiel, ich habe immer

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