Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Abend im Club

Ein Abend im Club

Titel: Ein Abend im Club Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gailly
Vom Netzwerk:
auch nicht. Vielleicht war sie auf der Stelle tot. In jedem Fall nehme ich an, dass Stunden vergingen, bis sie von einem Autofahrer gefunden wurde.
    Sicherheitsgurte, sie hasste es, sich anzuschnallen. Autobahnen, sie hasste sie, man entkommt ihnen nie, sagte sie immer, man sucht vergeblich ein Ende dieses ständig sich ergießenden Wildbachs, dieser einem unbekannten Abgrund entgegenstürzenden wütenden Raser.
    Wie auch immer. Wäre sie doch auf der Autobahn geblieben, statt die Straßen zu nehmen, die sie als kleine Landstraßen bezeichnete, durch die Felder und über die Dörfer, und durch die Wälder.
    Wie auch immer. Hätte sie sich angeschnallt, wäre sie nicht aus dem Wagen geschleudert worden, und außerdem und vor allem, fast hätte ich es vergessen, wäre Simon heimgefahren statt Dummheiten zu machen, na ja, lassen wir das.
    Man weiß nicht, was geschehen ist. Ich kann mir zwei Möglichkeiten vorstellen. Sie muss einem Typen begegnet sein, der glaubte, er sei allein im Wald. Der fuhr wie ein Irrer. Der sich selbst Angst einjagte und daran berauschte. Sie hatte ihn plötzlich vor sich. Er kam aus der Kurve. Sie fuhr in die Kurve hinein. Beim Ausweichen kam sie von der Straße ab. Oder aber sie fuhr zu schnell, sie beeilte sich, ihre Waldphobie, sie wollte hinaus aus dem Wald, so schnell wie möglich.
    Und außerdem sage ich mir, hätte dieser Mann, dieser Zeuge, nicht zum Pinkeln angehalten, wäre Suzanne in diesem verlorenen Winkel des Waldes unterhalb der Landstraße noch wer weiß wie lange liegen geblieben auf der kühlen Unterlage aus Efeu und Moos, ganz in der Nähe ihres Wagens, der in seinem Sturz die Böschung hinunter von den Bäumen gestoppt worden war.
    Der Zeuge war nicht allein. Er rief seine Frau. Um ihr zu sagen, da liege ein umgestürzter Wagen in der Gegend. Komm und guck dir das an. Wo? Da unten. Beide kletterten hinunter, um sich das Ganze anzuschauen.
    Sie fanden Suzie. Sie schien tot zu sein, doch man kann ja nie wissen. Wir müssen die Gendarmerie benachrichtigen. Ich fahr hin, sagte er, du bleibst bei ihr. Auf keinen Fall, sagte seine Frau, ich bleibe doch nicht ganz allein hier im Wald.
    Anscheinend hatten sie einen Streit über ein Handy. Sie sagte: Siehst du, wenn du ein Handy hättest, könntest du von hier aus anrufen. Und ihr Mann sagte: Ja, aber die Nummer der Gendarmerie hätte ich trotzdem nicht gewusst, dafür weiß ich, wo sie ist, also fahr ich hin und du bleibst hier.
    Es waren Leute aus der Gegend, die von einer Familienfeier kamen. Sie wird dich nicht fressen, fügte er hinzu, um seine Frau zu beruhigen, die jedoch erwiderte: Sie wird sich auch nicht in Luft auflösen, lass mich doch mit dir kommen.
    Vielleicht war sie auch spät dran gewesen. Aber nein. Als ihr der Unfall zustieß, war sie etwa hundert Kilometer von Simon entfernt, und als die Gendarmen anriefen, war es 18 Uhr, und:
    Bis sie geholt worden waren, Hin- und Rückfahrt, und sich um alles gekümmert hatten, war, sagen wir, insgesamt eine Stunde vergangen, der Unfall musste gegen 17 Uhr passiert sein. Sie war also nicht zu spät dran. Sie hat also auch nicht Stunden im Wald verbracht und zu Füßen eines Baumes auf der feuchten Erde gelegen. Man stellt sich etwas vor, man täuscht sich, füllt die Leerstellen mit eigener Erfindung, so machen es die Chronisten.
    Ich wünschte, sie wäre mit einem Blick auf den Himmel über den Baumwipfeln gestorben und von dieser Vision eines Auswegs besänftigt worden. Es sei denn, sie wäre in jenem Augenblick verzweifelt, weil sie nicht mehr zu Simon zurückkehren konnte, aber nein, nichts dergleichen, gar nichts, sie war auf der Stelle tot.

18.
    Der potenzielle Doktor der Genetik und nihilistische Rocker Jamie Nardis, Simons Sohn: Ich war gerade in die Wohnung meiner Eltern gekommen. Anne war dabei. Ich wollte nachsehen, ob meine Mutter alles richtig zurechtgemacht hatte für Dingo. So durcheinander, wie sie war. Wegen meines Vaters. Ich wollte mich vergewissern, dass alles gut gehen würde. Ich hatte meine Zweifel, sagte er, denn:
    Dingo ist ein kapriziöser Kater. Er frisst nur aus einem tadellos sauberen Napf. Geht niemals ein zweites Mal auf dieselbe Streu im Katzenklo. Wenn seine Anforderungen in diesen beiden Punkten nicht erfüllt werden, ist er imstande, alles zu verwüsten. Was für die nächsten vierundzwanzig Stunden nicht auszuschließen war.
    Anne und ich, sagte er mir, wollten auch wegfahren. Zu Annes Eltern. Ich hatte es meiner Mutter nicht gesagt. Es

Weitere Kostenlose Bücher