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Ein Abend im Club

Ein Abend im Club

Titel: Ein Abend im Club Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gailly
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gibt’s bestimmt nicht so viele davon, du kannst doch fragen. Suzanne: Ich will die Adresse, hörst du, gib mir die Adresse.
    Na gut, sagte Simon, Augenblick mal. Er riss die Telefonzellentür weit auf und rief nach Debbie, die gerade vorbeiging: Wie war die Adresse des Hotels? Debbie antwortete ihm, ebenfalls schreiend. Schreibst du sie auf?, fragte er. Suzanne notierte sie, und dann: Wo bist du jetzt? Von wo rufst du mich an?
    Aus einer versandeten Telefonzelle am Strand, sagte Simon, warum? Hast du getrunken?, fragte Suzanne. Nein, sagte Simon, nur einen kräftigen Schluck Meerwasser, warum? Und diese Debbie ist jetzt bei dir? Ja schon, warum? Nur so, sagte Suzanne, ich komme.

14.
    Das Wasser lief wieder auf. Der 13.21-Uhr-Zug rollte Richtung Paris. Die Unterhose trocknete. Simon hatte sie nicht ausgewrungen. Das Trocknen konnte dauern. Die Sonne hatte sich versteckt. Eine Wolke zog über den Himmel. An eine Unterhose hatte Debbie nicht gedacht. Simon auch nicht. Aber es hatte ja alles keine Eile mehr. Der nächste Zug würde, wie die vorherigen und alle späteren, ohne Simon abfahren.
    Im weißen Frottee-Lendenschurz, mit verstimmter Miene und der Telefonkarte in der Hand, ging er zu dem Felsen zurück, auf dem seine Unterhose trocknete. Debbie zog ihr blaues Kleid aus. Es war auf den Schultern zu öffnen und fiel ihr auf die Füße. Ich gehe schwimmen, sagte sie.
    Die Sonne kehrte zurück. Die Wolke zog vorüber. Ich brauche eine kleine Abkühlung, sagte sie. Und ich werde mein Handtuch brauchen. Ist Ihnen kalt? Sie zittern. Ziehen Sie sich um. Ich habe Ihnen trockene Sachen gekauft. Ist es gut gegangen? Was?, fragte Simon. Mit Ihrer Frau. So einigermaßen, sagte Simon.
    Simon wartete, bis Debbie im Wasser war. Sie musste nicht weit laufen. Das Meer war ihr entgegengekommen.
    Als ihr Körper endlich eintauchte, entkleidete Simon den seinen.
    Debbie schwamm vom Ufer weg. Schwimmen Sie nicht zu weit hinaus. Wenn meine Frau mir den Laufpass gibt, ist es mir viel lieber, wenn Sie noch am Leben sind, dachte er, band seinen Lendenschurz los, gab ihm die Form eines Badetuchs zurück, legte es schön glatt auf den Sand und dann sich selbst nackt darauf.
    Traurigkeit befiel ihn, als er das gestärkte Hemd von all seinen Pappverstärkungen und Nadeln befreien musste. Er zog es über. Die Hose war zu lang. Er krempelte die Hosenbeine um. Eigenartiges Gefühl, dachte er, so mit dem nackten Hintern in der Hose. Dann schaute er, ob seine Unterhose Trocknungsfortschritte machte. Fasste sie an, feucht. Wrang sie aus, Wasser floss heraus. Ich hätte sie schon früher auswringen sollen, dachte er.
    Traurigkeit befiel ihn. Trotz der ähnlichen Form, der von Shorts, ist eine Unterhose keine Badehose. Das Material macht den Unterschied, dachte er. Sie ist nicht dafür geschaffen, man badet nicht damit, dachte er und betrachtete das Wäschestück traurig, und während er es betrachtete, wiederholte er innerlich: Nicht dafür geschaffen, und während er es wiederholte, dachte er:
    Genauso wenig, wie ich dafür geschaffen bin, meine Frau zu betrügen, obgleich ich sie oft betrogen habe. Genauso wenig, wie ich dafür geschaffen war, als Berufspianist weiterzumachen. In Wahrheit weiß ich nicht, wofür ich geschaffen war.
    Debbie kam zurück. Die Schönheit, dachte er, dafür war ich geschaffen, dafür, sie zu bewundern, zu lieben und sie wenn möglich selbst hervorzubringen, zu schaffen. Nur gibt es im Jazz keine Schönheit. Swing, ja, den gibt es, Gefühl, Freude und Tanz im Körper, sogar Wut, Trauer oder Fröhlichkeit, aber keine Schönheit, leider.
    Seht sie euch an, seht, wie schön sie ist, dachte er. Du gehörst mir. Nie habe er das von einer Frau gedacht, vertraute er mir an.
    War es der Anfang von etwas? Oder war es nicht eher das Ende von etwas? Weder noch. Beides. Etwas anderes. Etwas dazwischen. Daher diese Niedergeschlagenheit des Wartens in einer stillstehenden Zeit, in einem Vakuum, in dem sich etwas entscheiden sollte. Nicht unbedingt, dachte Simon, das ist sicher nur ein Gefühl. Er korrigierte sich: eine Illusion.
    Es war nur ein abgefahrener Zug. Eine Frau anstelle der anderen. Wann geht der nächste?, fragte sie, als wollte sie Simons Blick, der sich an all ihrer nassen Haut festklammerte, ablenken.
    Simons Geruch war anscheinend in das weiße Handtuch eingedrungen. Du riechst gut, sagte sie. Sie tupfte sich das Gesicht damit trocken, dann hüllte sie sich darin ein. Ich schlüpfe in deine Haut, sagte sie, ich gehe

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